Rügeobliegenheit im Vergabeverfahren: Bieter muss die Vergabeunterlagen innerhalb von zwei Wochen prüfen

Eine Entscheidung der 2. Vergabekammer Sachsen-Anhalt befasst sich mit der Frist zur Erhebung einer Rüge im Vergabeverfahren. Die Entscheidung betrifft die Vergabe eines Dienstleistungsvertrages über Unterhalts-, Grund- und Fensterreinigungen in öffentlichen Gebäuden und in Kindereinrichtungen nach den Bestimmungen der VgV. Die Vergabeunterlagen enthielten u. a. Vorgaben zu Tariflöhnen, die nicht mehr dem aktuellen Stand entsprachen. Ein Bieter rügte einen Tag vor Ablauf der Angebotsfrist, dass die Vorgaben zu den Tariflöhnen nicht mehr aktuell seien und dass es ihm daher nicht möglich sei, ein ordnungsgemäßes Angebot zu kalkulieren. Bereits mehrere Wochen zuvor hatte der Geschäftsführer des Bieters telefonisch beim Auftraggeber weitere Beanstandungen hinsichtlich der Vergabeunterlagen vorgebracht, die zu einer Überarbeitung der Unterlagen geführt hatten; auf die Tariflöhne  hatte er sich dabei aber nicht bezogen.

Vor der 2. Vergabekammer Sachsen-Anhalt hatte der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg. Die Vergabekammer erachtete den Nachprüfungsantrag bereits als unzulässig, da der Bieter die Rügeobliegenheit gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht erfüllt habe. Zwar ist ein Nachprüfungsantrag nach dieser Bestimmung nur dann unzulässig, wenn der Antragsteller einen Vergaberechtsverstoß erkannt hat und diesen nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat. Wann der hiesige Antragsteller positive Kenntnis von dem Verstoß erlangt hatte, war nicht bekannt. Allerdings ging die Vergabekammer davon aus, dass eine positive Kenntnis ausnahmsweise entbehrlich sei, wenn die Unkenntnis des Bieters nur als ein mutwilliges Sich-Verschließen vor der Erkenntnis des Vergabeverstoßes gewertet werden könne. Dies sei auch dann anzunehmen, wenn es der Bieter vorwerfbar versäume, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er Kenntnis von den Vergabeverstößen erlangen könne. Ein solcher Fall liege hier vor, da der Antragsteller bereits mehrere Wochen über die Vergabeunterlagen verfügt habe und sich erst kurz vor Ablauf der Angebotsfrist mit ihnen auseinandergesetzt habe. Aufgrund des im Vergabeverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes könne aber von einem Bieter erwartet werden, dass er die Unterlagen spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Eingang auf Verständlichkeit und Vollständigkeit prüfe. Bei einer solchen Prüfung wäre dem Bieter aber frühzeitig aufgefallen, dass die Vorgaben zu den Tariflöhnen nicht aktuell seien.

Die Entscheidung stellt eine sehr restriktive Handhabung der Rügeobliegenheit dar. Die Annahme einer Obliegenheit, die Vergabeunterlagen innerhalb von zwei Wochen auf etwaige Vergaberechtsverstöße zu prüfen, erlegt dem Bieter hohe Anforderungen auf, die sich mit Blick auf die differenzierten Rügeobliegenheiten in § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB kaum überzeugend begründen lassen. Ob sich diese Sichtweise durchsetzen wird, erscheint zweifelhaft.

VK Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 7. August 2019, 2 VK LSA 23/19

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