Welche Auswirkungen hat das Bestimmungslandprinzip auf die Angebotswertung?

Umsatzsteuerrechtliche Besonderheiten können immer wieder zu vergaberechtlichen Implikationen führen. Eine aktuelle Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes betrifft die Auswirkungen des umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungslandprinzips auf die Prüfung und Wertung der Angebote. Dem Nachprüfungsverfahren lag ein Vergabeverfahren zur Vergabe eines Auftrags über die Datenaufbereitung und Herstellung bestimmter Schriften eines öffentlichen Auftraggebers zugrunde. Ein übergangener Bieter wandte sich gegen den vorgesehenen Zuschlag auf das Angebot eines Konkurrenten und beanstandete u. a., daß der im EU-Ausland ansässige Konkurrent seine Angebotspreise als Nettopreise angegeben habe, ohne dabei zu berücksichtigen, daß der Auftraggeber nach den Grundsätzen des innergemeinschaftlichen Erwerbs die Umsatzsteuer schulde und abzuführen habe.

Mit dieser Beanstandung fand der Bieter bei der Vergabekammer kein Gehör. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung bilden die umsatzsteuerrechtlichen Regelungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb, denen das Prinzip der Versteuerung im Bestimmungsland zugrunde liegt. Hiernach sind grenzüberschreitende Lieferungen und Leistungen innerhalb der EU in den Fällen des § 1a UStG nicht vom Unternehmer, der die Lieferung oder Leistung ausführt, sondern vom Erwerber zu versteuern. Aus wirtschaftlicher Sicht bleibt es für den Erwerber somit ohne Unterschied, ob er eine Leistung von einem inländischen Unternehmer oder von einem Unternehmer aus dem EU-Ausland bezieht. In beiden Fällen ist die Umsatzsteuer in der im Inland geltenden Höhe zu entrichten, entweder an den liefernden bzw. leistenden Unternehmer oder aber unmittelbar als eigene Steuerschuld an das Finanzamt.

Vergaberechtlich führt dies zunächst zu der Frage, ob Bieter, deren Lieferungen oder Leistungen nach den Regeln des innergemeinschaftlichen Erwerbs besteuert werden, Brutto- oder Nettopreise anzubieten haben. Das hängt im wesentlichen von der Gestaltung des Preisblatts durch den Auftraggeber hat. Im hier entschiedenen Fall hatte die Auftraggeberin im Preisblatt zunächst die Angabe von Nettopreisen und sodann die Angabe des jeweils anwendbaren Umsatzsteuersatzes gefordert. Der beigeladene Konkurrent hatte Nettopreise angeboten und sodann in der Rubrik, in der nach dem anwendbaren Umsatzsteuersatz gefragt war, die Angabe „0 %“ vorgenommen. Zutreffend hat dies die Vergabekammer nicht als fehlende oder fehlerhafte Preisangabe, etwa i. S. v. § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV, gewertet. Denn der Konkurrent wird im Zuschlagsfalle auf der Grundlage der Bestimmungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen und seine Leistung mithin nur nach Nettopreisen berechnen. Daß der Auftraggeber gleichwohl mit der Umsatzsteuer belastet wird und diese selbst abführen muß, ändert daran nichts, daß Rechnungsbetrag und damit auch das vertraglich geschuldete Entgelt lediglich der Nettopreis ist. Andere Angaben können freilich dann erforderlich sein, wenn das Preisblatt ausdrückliche Informationen etwa dahingehend verlangt, ob ein Fall des innergemeinschaftlichen Erwerbs vorliegt; in diesem Fall sind selbstverständlich die insoweit zutreffenden Angaben zu machen.

Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie mit einem solchermaßen mit Nettopreisen versehenen Angebot in der Wirtschaftlichkeitswertung zu verfahren ist. Der Auftraggeber im hier entschiedenen Fall vertrat dazu die Auffassung, daß die Umsatzsteuer bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Angebots des beigeladenen Konkurrenten wegen der Regelungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb nicht zu berücksichtigen sei. Daß dies mit dem vergaberechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot und der daraus abzuleitenden Vorgabe, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen (§ 58 Abs. 1 VgV), nicht vereinbar ist, liegt auf der Hand. Denn der Auftraggeber wird auch in den Fällen des innergemeinschaftlichen Erwerbs zwangsläufig mit der Umsatzsteuer belastet, so daß das Angebot bei Außerachtlassung der Umsatzsteuer eine ungerechtfertigte Besserstellung erführe. Daher können auch in derartigen Fällen nur einheitlich entweder Brutto- oder Nettopreise aller Angebote miteinander verglichen werden. Wer die Umsatzsteuer schuldet, ist dabei nicht maßgeblich. Diese Sichtweise ergibt sich bereits aus der Spruchpraxis der 1. Vergabekammer des Bundes (Beschl. v. 31. Juli 2015, VK 1-59/15); nunmehr hat sich auch die 2. Vergabekammer des Bundes dem angeschlossen.

Die Angebotswertung war damit fehlerhaft und korrekturbedürftig. Dies konnte dem Nachprüfungsantrag dennoch nicht zum Erfolg verhelfen, da das Angebot des Antragstellers auch bei korrektem Umgang mit der Umsatzsteuer nicht auf dem ersten Platz in der Reihung der Angebote lag. Da auch seine weiteren Rügen nicht durchdrungen, wurde der Nachprüfungsantrag insgesamt zurückgewiesen.

2. Vergabekammer des Bundes, Beschl. v. 28. September 2017, VK 2-94/17

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