Der EuGH beleuchtet in einer aktuellen Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen Tochtergesellschaften öffentlicher Auftraggeber ihrerseits als öffentliche Auftraggeber anzusehen sind und damit dem Vergaberecht unterliegen. Das Urteil ist auf die Vorlage des Regionalgerichts Vilnius ergangen und betrifft die Vergabe eines Auftrags zur Beschaffung von Eisenmetallstäben durch eine Tochtergesellschaft der litauischen Eisenbahngesellschaft, die sich mit der Herstellung und Instandhaltung von Lokomotiven und Waggons vorwiegend im Auftrag ihrer Muttergesellschaft befaßt.
Da das Vergabeverfahren noch nach dem Rechtsstand vor Inkrafttreten der Vergaberechtsreform 2014/2016 zu beurteilen war, ergaben sich die maßgeblichen Bestimmungen aus Art. 1 Abs. 9 der RL 2004/18/EG. Diese entsprechen freilich inhaltlich den jetzigen Regelungen in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und 4 der RL 2014/24/EU. Öffentliche Auftraggeber im Sinne des EU-Vergaberechts sind nach der dortigen Begriffsbestimmung neben dem Staat und den Gebietskörperschaften auch solche Einrichtungen mit Rechtspersönlichkeit, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, und die von einem anderen öffentlichen Auftraggeber überwiegend finanziert oder beherrscht werden. Während das Finanzierungs- und Beherrschungskriterium bei Tochtergesellschaften öffentlicher Auftraggeber regelmäßig ohne weiteres erfüllt ist, kann das weitere Kriterium des besonderen Gründungszwecks nicht immer eindeutig beantwortet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Tochtergesellschaft nicht nur Aufträge für die Muttergesellschaft ausführt, sondern daneben auch auf dem allgemeinen Markt, d. h. im Wettbewerb, tätig wird.
In dem jetzt entschiedenen Fall erläutert der EuGH hierzu, daß jedenfalls die Voraussetzung der Gründung zu dem besonderen Zweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, regelmäßig dann erfüllt sei, wenn die Tochtergesellschaft gegründet worden sei, um die Muttergesellschaft in die Lage zu versetzen, ihrerseits Aufgaben zu erfüllen, die im Allgemeininteresse liegen. Insoweit werden Mutter- und Tochtergesellschaft also der Sache nach gemeinsam betrachtet: Wenn die Muttergesellschaft im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllt und die Tochtergesellschaft Tätigkeiten ausführt, die erforderlich sind, damit die Muttergesellschaft diese Aufgaben wahrnimmt, erfüllt auch die Tochtergesellschaft im Allgemeininteresse liegende Aufgaben.
Differenzierter beurteilt der EuGH die daneben ebenfalls zu erfüllende Voraussetzung der Gründung zu dem besonderen Zweck, Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Bei der Prüfung dieses Merkmals nimmt der EuGH in ständiger Rechtsprechung eine Gesamtschau vor, in deren Rahmen u. a. die Wettbewerbssituation auf dem jeweiligen Markt und die Gewinnerzielungsabsicht des jeweiligen Unternehmens berücksichtigt werden. Diese Vorgaben gelten, wie in der jetzt ergangenen Entscheidung erläutert wird, auch für die Beurteilung der Tätigkeit von Tochtergesellschaften öffentlicher Auftraggeber, wobei der EuGH allein das Vorhandensein eines entwickelten Wettbewerbs nicht für ausreichend hält, um den gewerblichen Charakter der Aufgaben zu bejahen. Vielmehr müsse hier insbesondere darauf abgestellt werden, ob sich die Tochtergesellschaft bei ihrer Tätigkeit von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lasse. Das dürfte im im wesentlichen auf den Grad der Einflußnahme durch den öffentlichen Auftraggeber bei der wirtschaftlichen Tätigkeit abzielen. Letztlich ist damit eine Einzelfallbetrachtung anzustellen, bei der maßgeblich in Rechnung zu stellen sein dürfte, ob die Tochtergesellschaft trotz der Anbindung an den öffentlichen Auftraggeber wie ein dem Wettbewerb ausgesetzter Marktteilnehmer agiert.
Nicht maßgeblich ist dabei im übrigen, ob die Tochtergesellschaft neben der Tätigkeit für die Muttergesellschaft auch für andere Auftraggeber und damit am Markt tätig wird. Auch die Erfüllung der In-house-Kriterien ist nicht unmittelbar entscheidend, da in dieser Situation nicht die Frage der In-house-Ausnahme im Raum steht. Ihnen kann allenfalls indizielle Bedeutung bei der Frage der Marktausgesetztheit der Tochtergesellschaft zukommen.