Die strengen Vorgaben des Baunutzungsplans von Berlin von 1958/1960 hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung führen immer wieder zu Konflikten. Der Baunutzungsplan von 1958/1960 enthält u. a. hinsichtlich der Grundflächenzahl (GRZ), der Geschoßflächenzahl (GFZ) und der überbaubaren Grundstücksfläche Festsetzungen, die in weiten Teilen Berlins nicht der städtebaulichen Realität entsprechen. Die Bezirksämter behelfen sich teilweise mit einer großzügigen Praxis bei der Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen, die allerdings möglicherweise nicht immer mit dem geltenden Baurecht in Einklang steht (dazu bereits OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11. Dezember 2013, OVG 10 N 90.10). Daß dem Nachbarn auch gegen rechtswidrige Ausnahmen und Befreiungen nur sehr begrenzte Rechtsschutzmöglichkeiten zustehen, zeigt eine aktuelle Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg.
Dem Beschluß lag eine Baugenehmigung zum Umbau und zur Umnutzung eines ursprünglich gewerblich genutzten Gebäudes zu Wohnzwecken zu Grunde. Mit der Baugenehmigung erteilte das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin eine Befreiung von verschiedenen Festsetzungen des Baunutzungsplans von 1958/1960, die u. a die GRZ und die GFZ betrafen. Der Eilantrag des Nachbarn, mit dem dieser sich vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigung wandte, hatte ebenso wie die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Auf der Grundlage seiner gefestigten Rechtsprechung legte das OVG Berlin-Brandenburg zunächst dar, daß Festsetzungen im Bebauungsplan, die das Maß der baulichen Nutzung betreffen, im Ausgangspunkt keine nachbarschützende Funktion haben. Ein Anspruch auf ihre Beachtung hat der Nachbar daher nicht. Er wird lediglich durch das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme geschützt, das insoweit in § 31 Abs. 2 BauGB zum Ausdruck kommt. Ein Anspruch des Nachbarn auf Wahrung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung besteht daher nur insoweit, wie ihn die Abweichung von den Festsetzungen unzumutbar beeinträchtigt. Eine solche Beeinträchtigung, die über die objektive Rechtswidrigkeit hinausgeht, verneinte das Gericht hier, schon weil die beabsichtigte Wohnnutzung in der Tendenz deutlich nachbarverträglicher war als die zuvor ausgeübte Gewerbenutzung. Zudem konnte der Nachbar nicht darlegen, daß er durch die Überschreitung der zulässigen GRZ und GFZ übermäßig belästigt würde.
Auch aus der Umnutzung des Grundstücks selbst konnte der Nachbar nichts für sein Begehren herleiten. Hierzu hatte er geltend gemacht, die künftige Wohnnutzung führe dazu, daß unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten auf sein Grundstück geschaffen würden. Insbesondere sei der Swimmingpool im hinteren Bereich seines Grundstücks künftig den Blicken der Nachbarn ausgesetzt, ohne daß er dies durch bauliche Maßnahmen verhindern könne. Auch hierin erblickte das Gericht allerdings keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Da die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eingehalten wurden, bestand aus der Sicht des Gerichts kein Anlaß dafür, eine übermäßige Belastung durch das Vorhaben anzunehmen. Vielmehr sei in städtisch geprägten Bereichen wie dem hier betroffenen Teil von Steglitz stets mit einer gewissen Einsichtsmöglichkeit zu rechnen. Daß der Nachbar sein Schwimmbecken künftig nicht mehr unbeobachtet nutzen kann, muß er somit hinnehmen.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 9. Juni 2017, OVG 10 S 34.17