Mehrere Krankenkassen schrieben den Abschluß von Rahmenverträgen zur Belieferung von radiologisch tätigen Vertragsärzten mit Röntgenkontrastmitteln als Sprechstundenbedarf aus. Auf mehrere Fachlose der Ausschreibung gab u. a. ein pharmazeutischer Großhändler ein Angebot ab. Die Auftraggeber beabsichtigten zunächst, diesem Bieter den Zuschlag zu erteilen, sahen davon jedoch auf Grund von Rügen konkurrierender Bieter ab. Diese machten geltend, daß der Großhändler Klinikpackungen angeboten habe, die nicht zum Beschaffungsbedarf der Krankenkassen gehörten. Die Auftraggeber korrigierten daraufhin ihre Vergabeentscheidung und schlossen das Angebot des Großhändlers auf Grund einer Abweichung von den Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV aus der Wertung aus.
Auf den Nachprüfungsantrag des Großhändlers stellte die 2. Vergabekammer des Bundes die Rechtswidrigkeit des Ausschlusses fest. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV untersagt jede Änderung oder Ergänzung der Vergabeunterlagen. Wie bereits vor dem Inkrafttreten der Vergaberechtsreform anerkannt war, liegt eine derartige unzulässige Abweichung immer dann vor, wenn der Bieter etwas anderes anbietet, als der Auftraggeber nachfragt. Nur dann, wenn Angebot und Nachfrage übereinstimmen, sind ein Vergleich der Angebote untereinander und damit ein funktionierender Vergabewettbewerb möglich. Für die Frage, ob eine unzulässige Abweichung von den Vergabeunterlagen vorliegt, kommt es mithin darauf an, welche Vorgaben der Auftraggeber an die zu beschaffende Leistung stellt. Im hier entschiedenen Fall gelangte die Vergabekammer zu der Erkenntnis, daß Klinikpackungen durchaus zu dem nachgefragten Sprechstundenbedarf gehörten. Die Vergabeunterlagen selbst enthielten dazu keine ausdrücklichen Aussagen, so daß die Vergabekammer bei einer Auslegung nach den allgemeinen Grundsätzen zu dem Ergebnis gelangte, daß auch Klinikpackungen angeboten werden durften. Auch aus der Sprechstundenbedarfsvereinbarung, die die hier handelnden Krankenkassen mit der Kassenärztlichen Vereinigung geschlossen hatten, ergab sich nicht anderes; vielmehr war dort sogar vorgesehen, daß Großpackungen oder Anstaltspackungen zu verordnen sind, wenn diese preisgünstiger sind und ein entsprechender Bedarf besteht. Unter arzneimittelrechtlichen Gesichtspunkten schließlich konnte die Vergabekammer ebenfalls kein Verbot der Lieferung von Klinikpackungen an Vertragsärzte erkennen.
Der Nachprüfungsantrag des Großhändlers hatte daher insoweit Erfolg. Im Ergebnis verhalf ihm dies freilich nicht zum Zuschlag, da die Auftraggeber zwischenzeitlich die Vergabeunterlagen geändert hatten und nunmehr ausdrücklich vorgaben, daß Klinikpackungen nicht vom Beschaffungsgegenstand umfaßt waren. Gleichwohl eröffnete ihm die feststellende Entscheidung der Vergabekammer den Weg dazu, Schadensersatzansprüche gegen die Krankenkassen geltend zu machen. § 179 Abs. 1 GWB ordnet hierfür an, daß die ordentlichen Gerichte an die bestandskräftige Entscheidung einer Vergabekammer gebunden sind.
VK Bund, Beschl. v. 2. Dezember 2016, VK 2-105/16;
VK Bund, Beschl. v. 5. Dezember 2016, VK 2-107/16