Kammergericht: geschwärzte Informationen aus Schriftsätzen dürfen im Nachprüfungsverfahren nicht verwertet werden

Das Kammergericht hat sich in einer aktuellen Beschwerdeentscheidung mit der Verwertung geschwärzter Unterlagen im Nachprüfungsverfahren befasst. Die Entscheidung betraf ein Nachprüfungsverfahren, in dem die Antragstellerin und die Beigeladene Teile ihrer Schriftsätze geschwärzt hatten, damit diese den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht vorgelegt würden. Die Vergabekammer entschied mit einem Beschluss im Zwischenverfahren, dass diese Unterlagen dem jeweils anderen Verfahrensbeteiligten offenbart werden sollten. Hiergegen wandte sich die Beigeladene mit einer sofortigen Beschwerde an das Kammergericht und machte Geheimhaltungsinteressen geltend.

Da das Nachprüfungsverfahren zwischenzeitlich durch Rücknahme des Nachprüfungsantrags endete und das Beschwerdeverfahren betreffend die Akteneinsicht für erledigt erklärt wurde, hatte das Kammergericht nur noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Das Kammergericht gab die Kosten der Antragstellerin auf, da die sofortige Beschwerde der Beigeladenen ohne die Erledigung in der Sache Erfolg gehabt hätte. Geschwärzte Unterlagen werden nach der Auffassung des Kammergerichts weder Gegenstand der Akten der Vergabekammer noch Bestandteil der Gerichtsakten. Eine Einsicht durch die übrigen Verfahrensbeteiligten sei daher von vornherein nicht möglich. Gleichzeitig sei es aber auch ausgeschlossen, derartige Unterlagen zur Grundlage des Nachprüfungsverfahrens und der Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen zu machen. Die Berücksichtigung solcher Unterlagen verstoße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, weil andere Verfahrensbeteiligte sich dazu nicht äußern könnten. Es liege mithin in der Entscheidung jedes Verfahrensbeteiligten, welche Unterlagen er zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens machen wolle. Eine Abwägung mit Geheimhaltungsinteressen der übrigen Verfahrensbeteiligten finde nicht statt, da das Grundrecht und objektive Verfahrensprinzip des rechtlichen Gehörs nicht relativiert werden könne. Anders verhalte es sich hingegen für die Vergabeakten des öffentlichen Auftraggebers; insoweit sei nach Maßgabe von § 165 GWB Einsicht zu gewähren, wobei Geheimhaltungsinteressen der Beteiligten zu berücksichtigen seien.

Die Entscheidung kann für die Durchführung von Nachprüfungsverfahren von erheblicher Bedeutung sein. Sie macht es Beteiligten unmöglich, Unterlagen oder Teile daraus ausschließlich zur Kenntnisnahme durch die Vergabekammer oder einzelner Beteiligter vorzulegen. Verfahrensbeteiligte können vielmehr Unterlagen nur dann in das Nachprüfungsverfahren einführen, wenn diese allen Beteiligten vollständig zur Kenntnis gegeben werden. Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob sich die damit statuierte unterschiedliche Behandlung von Beteiligtenvortrag und beigezogener Vergabeakten des Auftraggebers sachlich rechtfertigen lässt, da auch die beigezogenen Akten Grundlage der Entscheidung im Nachprüfungsverfahren sind und da der Grundsatz des rechtlichen Gehörs insoweit unterschiedslos gilt. Auch hat der Bundesgerichtshof bereits ausdrücklich entschieden, dass im Nachprüfungsverfahren Umstände berücksichtigt werden können, die mit Rücksicht auf ein Geheimhaltungsinteresse nicht allen Beteiligten offengelegt werden, wenn das Geheimhaltungsinteresse das Interesse der Beteiligten auf rechtliches Gehör auch unter Beachtung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz überwiegt (BGH, Beschl. v. 31. Januar 2017, X ZB 10/16). Das Kammergericht hält es zwar für denkbar, dass sich diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs nur auf die Vergabeakten des öffentlichen Auftraggebers bezieht; auch dann liegt aber eine Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung der betroffenen Informationen jedenfalls nicht auf der Hand.

KG, Beschl. v. 18. Mai 2022, Verg 7/21

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