In einem Vorabentscheidungsverfahren erläutert der Gerichtshof der Europäischen Union, ob Verstöße von Bietern gegen Bestimmungen des Kartellrechts bei der Bewerbung um öffentliche Aufträge unberücksichtigt gelassen werden können.
Gegenstand der Entscheidung ist ein Vorabentscheidungsersuchen des Regionalen Verwaltungsgerichts Piemont. Es betrifft die Vergabe eines Auftrags über die Reinigung von Fahrzeugen, die im öffentlichen Personennahverkehr eingesetzt werden. Der Auftraggeber widerrief den bereits erteilten Zuschlag, da der erfolgreiche Bieter kurz zuvor von der italienischen Wettbewerbsbehörde mit einem Bußgeld belegt worden war, nachdem er sich in einem anderen Vergabeverfahren an einer unzulässigen wettbewerbsbeschränkenden Absprache beteiligt hatte.
In dem gegen den Widerruf des Zuschlags eingeleiteten gerichtlichen Verfahren machte der betroffene Bieter geltend, dass nach der italienischen Gesetzgebung und der darauf gründenden nationalen Rechtsprechung Verhaltensweisen in Vergabeverfahren nicht den Ausschluss eines Bieters rechtfertigten, da sie keine Verfehlungen darstellten, die bei der Ausführung eines öffentlichen Auftrags begangen worden seien, sondern dieser vorgelagert seien.
Der EuGH vermochte sich dieser Sichtweise nicht anzuschließen. Zwar verfolge die hier maßgebliche Bestimmung in Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG keine unionsweit einheitliche Anwendung der Ausschlussgründe, da die Mitgliedstaaten die Ausschlussgründe an ihre jeweilige Rechtsordnung anpassen könnten. Doch verwiesen einzelne Ausschlussgründe wie hier Art. 45 Abs. 2 UAbs. 1 lit. d) der Richtlinie 2004/18/EG nicht auf das nationale Recht, so dass es Sache des Gerichtshofs sei, die Tragweite eines solchen fakultativen Ausschlussgrundes zu bestimmen. Daraus leitet der EuGH ab, dass der dort vorgesehene Begriff der schweren Verfehlung unionsrechtlich präzisiert werden könne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass jedes fehlerhafte Verhalten eines Wirtschaftsteilnehmers seine Zuverlässigkeit und Integrität in Frage stellen könne. Das kann nach der Sicht des EuGH nicht auf Verstöße bei der Ausführung öffentlicher Aufträge beschränkt werden. Auch Kartellrechtsverstöße, die bei der Bewerbung um einen öffentlichen Auftrag begangen werden, könnten daher eine schwere Verfehlung begründen und damit den Ausschluss des betroffenen Unternehmens von der Vergabe eines öffentlichen Auftrags rechtfertigen.
Durch Neuregelung in Art. 57 Abs. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU findet diese Rechtsprechung auch im neuen Richtlinienrecht eine Entsprechung. Dort ist nunmehr ausdrücklich geregelt, dass ein Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden kann, wenn der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür verfügt, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen.