EuGH: 35.000 EUR für eine fehlende Unterschrift?

Eine aktuelle Entscheidung des EuGH zeigt erneut die unionsrechtlichen Grenzen für die Korrektur defizitärer Angebote auf. Der Entscheidung lagen zwei Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts für die italienische Region Latium zugrunde. Eines der beiden Ersuchen betraf ein Vergabeverfahren über die Instandhaltung von Bahnhöfen. Eine Bietergemeinschaft hatte ein Angebot eingereicht, jedoch eine nicht von beiden Bietergemeinschaftsmitgliedern unterzeichnete Bietergemeinschaftserklärung vorgelegt. Der öffentliche Auftraggeber forderte diese nach, verpflichtete jedoch die Bietergemeinschaft gleichzeitig zur Zahlung einer im italienischen Recht vorgesehenen Sanktion von immerhin 35.000 EUR. Das andere der beiden Vorabentscheidungsersuchen bezog sich auf ein Vergabeverfahren über die Vergabe eines Rahmenvertrages zur Vermögensverwaltung, in dem ein Bieter keine eidesstattliche Versicherung über das Nichtvorliegen von Vorstrafen eingereicht hatte. Auch in diesem Verfahren forderte der öffentliche Auftraggeber die fehlende Erklärung nach, verlangte aber gleichzeitig die Zahlung einer Sanktion von sogar 50.000 EUR.

Der EuGH befaßte sich zunächst mit der grundsätzlichen Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Sanktionen für die Ergänzung defizitärer Angebote vorzusehen. Auszugehen war von Art. 51 der Richtlinie 2004/18/EG (s. auch Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU), wonach der öffentliche Auftraggeber im Rahmen eines Vergabeverfahrens die Wirtschaftsteilnehmer auffordern kann, die vorgelegten Bescheinigungen und Dokumente zu vervollständigen oder zu erläutern. Wie der Gerichtshof ausführt, enthält die Richtlinienbestimmung allerdings keine näheren Angaben darüber, wie eine solche Berichtigung erfolgen oder von welchen Voraussetzungen sie gegebenenfalls abhängig gemacht werden kann. Nach der Auffassung des Gerichtshofs steht es daher im Ermessen der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit zur Berichtigung der Angebote nicht nur vorzusehen, sondern auch einzuschränken. Hiernach sei es auch zulässig, eine finanzielle Sanktion für die nachträgliche Angebotskorrektur vorzusehen.

Gleichzeitig wies der EuGH allerdings auf die in seiner Rechtsprechung noch unter Geltung der alten Vergaberichtlinien herausgearbeiteten inhaltlichen Grenzen für die Erläuterung und Berichtigung von Angeboten hin. Hiernach sind im wesentlichen drei Voraussetzungen zu beachten:

1. Nachträgliche Korrekturen dürfen nicht dazu führen, daß Mängel behoben werden, die nach den Bestimmungen der Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich zum Ausschluss des Bieters führen müssen.

2. Eine Nachforderung von Unterlagen darf nicht darauf hinauslaufen, daß der betroffene Bieter in Wirklichkeit ein neues Angebot einreicht, was der Nachforderung fehlender Dokumente grds. im Wege steht (vgl. nunmehr aber Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU, wonach auch nicht vorhandene Unterlagen nachgereicht werden können).

3. Bei der Aufforderung zur nachträglichen Fehlerbehebung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Der EuGH hat es offen gelassen, ob in den beiden Ausgangsverfahren die unvollständig unterzeichnete Bietergemeinschaftserklärung und die fehlende eidesstattliche Versicherung nachgefordert werden durften. Dies sei eine Entscheidung des vorlegenden Gerichts. Soweit der Sanktionsmechnismus dazu führen kann, daß Berichtigungen vorgenommen werden können, die nach den Maßgaben des Unionsrechts unzulässig sind, sei er allerdings mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Zudem hielt der EuGH die Höhe der Sanktionen von 35.000 EUR bzw. 50.000 EUR, die die Auftraggeber jeweils im vorhinein in der Bekanntmachung für alle Arten der nachträglichen Berichtigung festgelegt hatten, für offenkundig überhöht und unverhältnismäßig.

Im deutschen Vergaberecht, das vergleichbare Sanktionen nicht kennt, regelt insbesondere § 56 VgV die Nachforderung von Unterlagen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH tun Auftraggeber allerdings sicherlich gut daran, sich erneut der unionsrechtlichen Grenzen der Nachforderung bewußt zu werden.

EuGH, Urt. v. 28. Februar 2018, verb. Rs. C-523/16, C-536/16, MA. T. I. SUD SpA, Duemme SGR SpA

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