Im Rahmen einer Ausschreibung von Tischlerarbeiten gab ein Bieter zwei Angebote ab, die sich inhaltlich in der Einbindung eines Nachunternehmers sowie in der Zuordnung zweier Einheitspreise zu bestimmten Positionen des Leistungsverzeichnisses unterschieden und dadurch geringfügig unterschiedliche Gesamtpreise aufwiesen. Die Angebote reichte der Bieter kurz hintereinander bei der Vergabestelle ein. Nachdem die Vergabestelle die Ausschreibung wegen einer vermeintlichen Kostenüberschreitung aufgehoben hatte, mußte sich der Bundesgerichtshof im Zuge des von dem Bieter angestrengten Schadensersatzprozesses u. a. mit der Frage befassen, ob die Abgabe mehrerer Hauptangebote durch denselben Bieter zulässig ist.
Der Bundesgerichtshof hat die Frage im positiven Sinne beantwortet. Soweit sich die Angebote nicht nur im Preis, sondern auch hinsichtlich der angebotenen Leistung unterscheiden, ohne dabei als Nebenangebot eingestuft werden zu können, ist eine Abgabe mehrerer Angebote zulässig. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, daß das Angebot alle Anforderungen erfüllt, die an es zu stellen sind, und insbesondere mit der vom Auftraggeber formulierten Leistungsbeschreibung übereinstimmt. Ist dies gewahrt, so besteht durch die Zulassung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung, da sich alle Angebote innerhalb des zulässigen Rahmens halten.
Auch die Gefahr einer Manipulation hält der Bundesgerichtshof nicht für ausreichend, um der Abgabe mehrerer Hauptangebote die Zulassung zu versagen. Zwar ermöglicht es die Nachforderungspflicht des Auftraggebers bei unvollständigen Angeboten (§ 16a EU VOB/A) dem Bieter u. U., gezielt unvollständige Angebote abzugeben, um beispielsweise in Kenntnis des Ergebnisses der Angebotsöffnung lediglich dasjenige Angebot zu vervollständigen, das ihm zwar den Erhalt des Zuschlages ermöglicht, aber gleichzeitig für ihn am günstigsten ist. Diese Gefahr ist nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes aber hinzunehmen, da sie der Normgeber bei der Schaffung der Nachforderungspflicht des Auftraggebers bewußt in Kauf genommen hat. Die durch die Nachforderung eröffneten Manipulationsmöglichkeiten sind auch kein Spezifikum der Abgabe mehrerer Hauptangebote, sondern ergeben sich in ähnlicher Weise bereits bei der Abgabe nur eines Angebotes. Trotzdem hält das Vergaberecht die Nachforderung fehlender Unterlagen für geboten, um einen möglichst breiten Wettbewerb zu eröffnen und die Anzahl der Angebotsausschlüsse aus formalen Gründen zu reduzieren.
Gleichwohl konnte der Bundesgerichtshof die Frage, ob der Bieter im konkreten Fall ordnungsgemäß mehrere Hauptangebote einreichen durfte, im Ergebnis offen lassen. Denn auf Grund des zeitlichen Zusammenhangs der Einreichung beider Offerten, aber auch auf Grund weiterer Umstände des Vergabeverfahrens ging der Bundesgerichtshof davon aus, daß der Bieter das zweite Angebot an Stelle des ersten Angebots habe einreichen wollen und das erste Angebot damit zurückgenommen habe. Damit lag im Ergebnis lediglich ein Angebot vor, das unproblematisch in der Wertung belassen werden konnte.
Da im übrigen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Ausschreibung nicht gegeben waren, führte die Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Ergebnis dazu, daß dem übergangenen Bieter der von ihm beanspruchte Schadensersatz zugesprochen wurde.
Bundesgerichtshof, Urt. v. 29. November 2016, X ZR 122/14 (Vorinstanzen: LG Magdeburg, OLG Naumburg)
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