Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betrifft die Regeln zum Ausschluss eines Unternehmens von Konzessionsvergabeverfahren auf Grund einer vorangegangenen Verurteilung wegen einer Straftat.
Der Entscheidung, die auf Vorlage des französischen Conseil d’Etat ergangen war, lag die stillschweigende Ablehnung eines Antrags eines französischen Unternehmens, der Vert Marine SAS, auf Aufhebung mehrerer Bestimmungen einer französischen Rechtsverordnung zugrunde. Diese betrafen den Ausschluss eines Unternehmens von Konzessionsvergaben , wenn eine Person, deren Verhalten dem Unternehmen zuzurechnen ist, wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurde. Der Ausschluss gilt nach dem französischen Recht für eine Dauer von fünf Jahren ab dem Datum der Verurteilung. Eine Verkürzung der Frist kommt nur auf strafprozessualem Wege in Betracht, nämlich wenn ein Strafgericht die Ausschlussfolge des Strafurteils aufhebt, den Verurteilten rehabilitiert oder die Tilgung der Verurteilung aus dem Strafregister anordnet. Hingegen kennt das französische Recht in den Fällen der gerichtlichen Verurteilung kein eigenes Verfahren, das es dem Unternehmen ermöglicht, nachzuweisen, dass es trotz der Verurteilung seine Zuverlässigkeit wiedererlangt hat, etwa indem es Maßnahmen der Selbstreinigung ergriffen hat.
Mit seinen Vorlagefragen wollte der französische Conseil d’Etat zunächst wissen, ob es das Richtlinienrecht den Mitgliedstaaten erlaubt, den Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern von der Konzessionsvergabe aufgrund einer Verurteilung für einen bestimmten Zeitraum anzuordnen, ohne dass der betroffene Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit hat, Nachweise dafür zu erbringen, dass er in der Zwischenzeit seine Zuverlässigkeit wiedererlangt hat, also eine Selbstreinigung durchlaufen hat. Art. 39 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23/EU sieht grds. die Möglichkeit vor, von dem Ausschluss von Unternehmen aus einem der in Art. 39 Abs. 4 und 7 der Richtlinie 2014/23/EU genannten Gründe abzusehen, wenn das betroffene Unternehmen hinreichende Nachweise dafür erbringt, dass es Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit ergriffen hat (Art. 39 Abs. 9 1. und 2. UAbs. der Richtlinie 2014/23/EU). In denjenigen Fällen, in denen ein Unternehmen durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde, ist dies jedoch nicht möglich; insoweit kommt ein Unternehmen nur nach Ablauf des in der Gerichtsentscheidung festgelegten Ausschlusszeitraumes wieder für die Konzessionsvergabe in Betracht (Art. 39 Abs. 9 3. UAbs. der Richtlinie 2014/23/EU). Die Antwort des Europäischen Gerichtshofes fällt dahingehend aus, dass ein solcher Ausschluss nur zulässig ist, wenn er unmittelbar durch ein Gericht ausgesprochen wurde. Neben dem Wortlaut von Art. 39 Abs. 9 3. UAbs. der Richtlinie 2014/23/EU beruft sich der Gerichtshof auf das Ziel der Norm, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Zuverlässigkeit eine objektive Bewertung der Wirtschaftsteilnehmer zu garantieren und einen wirksamen Wettbewerb sicherzustellen.
Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts zielt darauf, ob es mit dem Richtlinienrecht vereinbar ist, dass nicht der Auftraggeber selbst, sondern ein Gericht über die Verkürzung des Ausschlusszeitraumes entscheidet, und ob die im französischen Recht vorgesehenen Möglichkeiten zur Beendigung der Ausschlusswirkungen einer Verurteilung den richtlinienrechtlichen Bedingungen für die Berücksichtigung von Selbstreinigungsmaßnahmen genügen. Der Gerichtshof bejahte diese Zuständigkeit des Gerichts, solange das Verfahren den in Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23/EU festgelegten Vorgaben entspricht. Ob dies durch das innerstaatliche Recht gewährleistet ist, hat das vorlegende Gericht zu prüfen.