Die Rechtsprechung der Berliner Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Funktionslosigkeit des Baunutzungsplans ist um eine weitere Facette reicher. Mit einem Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Festsetzung der Geschossflächenzahl (GFZ) des Baunutzungsplans auch in einem Teilgebiet von Berlin-Mitte funktionslos geworden ist.
Die Entscheidung betrifft – wie so häufig im Zusammenhang mit der Funktionslosigkeit des Baunutzungsplans – einen Dachgeschossausbau an einem Mehrfamilienhaus. Das Vorhabengrundstück liegt im Ortsteil Tiergarten des Bezirks Mitte und damit im ehemaligen Westteil Berlins und im Geltungsbereich des Baunutzungsplans. Dieser sieht für das Grundstück ein gemischtes Gebiet der Baustufe V/3 mit einer GFZ von höchstens 1,5 vor. Die Bestandsbebauung überschreitet diesen Wert bereits erheblich. Mit dem geplanten Dachgeschossausbau sollte die GFZ auf dem Grundstück weiter erhöht werden. Den dahingehenden Befreiungsantrag des Bauherrn lehnte das Bezirksamt Mitte von Berlin ab. Der Widerspruch des Bauherrn blieb erfolglos. Auf seine Klage hin stellte das Verwaltungsgericht Berlin in der ersten Instanz fest, dass für das Vorhaben keine Befreiung von der GFZ erforderlich ist, weil diese Festsetzung des Baunutzungsplans funktionslos geworden ist.
Die hiergegen eingelegte Berufung des Bezirksamts blieb vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erfolglos. Zur Frage der Funktionslosigkeit der Festsetzungen des Baunutzungsplans untersuchte das Gericht die gesamte Bebauung des betroffenen Baugebiets der betroffenen Baustufe V/3, soweit dieses Gebiet innerhalb des Bezirks Mitte liegt. Die zuvor vertretene Baublock-Rechtsprechung, nach der es nur auf die Bebauung innerhalb des jeweiligen Straßengevierts ankommt, hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bereits mit seinen Beschlüssen vom 15. September 2020 (OVG 2 B 10.17 und OVG 2 B 11.17) aufgegeben. Dies deckt sich zudem mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 2024 (4 C 2.23). Gebiete, die mit neueren Bebauungsplänen überplant wurden, wurden allerdings ausgespart. In dem so zugeschnittenen Gebiet ermittelte das Gericht 981 Grundstücke, von denen bereits 671 beim Inkrafttreten des Baunutzungsplans mit einer höheren GFZ als 1,5 bebaut waren. Nach dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans wurden in diesem Gebiet 82 Neubauvorhaben genehmigt, die die GFZ von 1,5 einhielten. Dem standen 421 Bauvorhaben gegenüber, bei denen die GFZ-Festsetzung von 1,5 überschritten oder weiter überschritten wurde. Auf zahlreichen dieser Grundstücke fällt die Überschreitung der GFZ erheblich aus.
In der Gesamtschau gelangte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg damit zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Funktionslosigkeit der GFZ-Festsetzung erfüllt sind. Die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, schließen ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit aus, und diese Tatsache ist so offensichtlich, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient.
Im Ergebnis bietet die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Grundstückseigentümern in dem hier betroffenen Bereich weitreichende Entwicklungsmöglichkeiten. Bauvorhaben können grds. nicht mit Verweis auf die Überschreitung der GFZ-Festsetzung des Baunutzungsplans abgelehnt werden.