Spätestens seit dem vielbeachteten Urteil des EuGH zu den Mindestlohnbestimmungen des nordrhein-westfälischen TVgG (EuGH, Urt. v. 18. September 2014, Rs. C-549/13, Bundesdruckerei GmbH) steht die Vereinbarkeit von Lohnvorgaben mit den Bestimmungen des EU-Rechts im Blickpunkt der vergaberechtlichen Diskussion. Die Vergabekammer Niedersachsen mußte sich nun mit der Zulässigkeit einer landesrechtlichen Tariftreuepflicht befassen. Diese ergibt sich aus § 4 Abs. 3 Satz 2 des niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG) und betrifft in dem jetzt entschiedenen Fall den Schülerverkehr, der von der Anwendung der Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes gemäß § 1 Nr. 4 d) der Verordnung über die Befreiung bestimmter Beförderungsfälle von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (Freistellungs-Verordnung) freigestellt ist. „VK Niedersachsen: Vergaberechtliche Tariftreuepflichten verstoßen gegen EU-Recht“ weiterlesen
Eignungsleihe nur bei gesamtschuldnerischer Haftung?
Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG sehen vor, daß sich Bieter auf die Kapazitäten Dritter berufen dürfen, um ihre eigene Leistungsfähigkeit in technischer oder wirtschaftlicher Hinsicht nachzuweisen. Damit wird die Möglichkeit der Eignungsleihe eröffnet, die im innerstaatlichen Recht z. B. in § 6 Abs. 8 VOB/A-EG umgesetzt wird und die insbesondere den in der VOB/A zuvor geltenden Grundsatz der Selbstausführung abgelöst hat. Sowohl das Richtlinienrecht als auch das innerstaatliche deutsche Recht sehen dabei vor, daß der Bieter, der von der Möglichkeit der Eignungsleihe Gebrauch machen will, dem Auftraggeber nachweisen muß, daß ihm die erforderlichen Drittkapazitäten zur Verfügung stehen. „Eignungsleihe nur bei gesamtschuldnerischer Haftung?“ weiterlesen
Ist die Vergabekammer Berlin weiterhin nur teilweise arbeitsfähig?
Dass es um die Arbeitsfähigkeit der Vergabekammer Berlin nicht zum besten steht, ist seit längerer Zeit bekannt. Bereits im Herbst 2013 sorgte ein Beschluss des Kammergerichts für Aufsehen (KG, Beschl. v. 24. Oktober 2013, Verg 11/13). Das Gericht stellte darin u. a. fest, daß die Vergabekammer den Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens mitgeteilt habe, daß sie ihre Amtstätigkeit im Zuständigkeitsbereich der 2. Beschlußabteilung mangels personeller Besetzung für absehbare Zeit eingestellt habe. Als Folge daraus konnten diverse Nachprüfungsverfahren (s. u. a. KG, Beschl. v. 1. September 2014, Verg 18/13; KG, Beschl. v. 18. Dezember 2014, Verg 21/13) nicht in der gesetzlich vorgesehen Entscheidungsfrist (§ 113 Abs. 2 Satz 1 GWB) beendet werden, so daß die Ablehnung des Antrags fingiert wurde und der Weg zur sofortigen Beschwerde eröffnet war (§ 116 Abs. 2 GWB). Nachdem das Thema nicht nur im Abgeordnetenhaus, sondern auch mehrfach in der Tagespresse zur Sprache kam, beschloß der Berliner Senat am 28. Oktober 2014 mit der 1. Änderungsverordnung zur Berliner Nachprüfungsverordnung, daß sowohl der Vorsitzende als auch der hauptamtliche Beisitzer der betroffenen 2. Beschlußabteilung nicht mehr wie bisher von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, sondern künftig von der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz benannt werden. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vorgabe, nach der eines dieser beiden Mitglieder ein Volljurist sein muß (§ 105 Abs. 2 Satz 3 GWB), erhoffte man sich damit offenbar, die personellen Lücken in der Vergabekammer besser schließen zu können. Ob dieser Plan zwischenzeitlich zum gewünschten Erfolg geführt hat, scheint allerdings weiterhin fraglich. Nach einem kürzlich veröffentlichten Beschluß des Kammergerichts vom 27. Januar 2015, Az. Verg 9/14, hat sich jedenfalls bis Ende des vergangenen Jahres nichts an der beklagenswerten Situation geändert. Denn dort findet sich wiederum die Feststellung, daß die Vergabekammer den Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens mitgeteilt habe, daß sie mangels ausreichender personeller Besetzung der zuständigen 2. Beschlußabteilung auf absehbare Zeit nicht werde in der Sache entscheiden können. Der wiederholt angebrachte Hinweis des Kammergerichts, daß dieser Zustand den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen und rechtsstaatlichen Verwaltung widerspreche, verhallt also offenbar weiterhin ungehört. Das Kammergericht leitet daraus zudem in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung ab, daß sich das Land Berlin als öffentlicher Auftraggeber im Rahmen etwaiger Eilanträge vor dem Beschwerdegericht (§ 118 Abs. 1 Satz 3 GWB) nicht auf eine Dringlichkeit der Auftragsvergabe berufen könne, da es die im Nachprüfungsverfahren durch die Nichtbesetzung der Vergabekammer entstehende Verzögerung selbst zu vertreten habe. Dies entspricht dem zivilprozessualen Gedanken der Selbstwiderlegung: Wer selbst durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, daß die Sache nicht besonders eilbedürftig ist, kann sich im Eilverfahren nicht auf die Dringlichkeit seines Anliegens berufen. Für Vergabestellen des Landes Berlin, die auf die personelle Situation im Bereich der Vergabekammer üblicherweise keinen Einfluß haben, mag dies mißlich sein; in der Sache hingegen ist es sicherlich konsequent. Es darf mit Spannung erwartet werden, bis wann das Kammergericht seine Spruchtätigkeit als faktische Eingangsinstanz fortführen muß.
Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?
Erneut hat sich der EuGH mit den Anforderungen zu befassen, die das EU-Recht an die Ausgestaltung der Fristen zur Nachprüfung rechtswidriger Vergaben stellt. In ihren Schlußanträgen vom 21. Mai 2015 in der Rechtssache C-166/14, MedEval GmbH, beleuchtet die Generalanwältin Juliane Kokott eine Regelung des österreichischen Rechts. Diese sieht vor, daß Schadensersatzansprüche wegen einer rechtswidrigen De-facto-Vergabe voraussetzen, daß die Rechtswidrigkeit der Auftragserteilung zuvor von der Vergabekontrollbehörde festgestellt wurde. Eine solche Feststellung setzt die Anbringung eines Nachprüfungsantrags innerhalb von sechs Monaten ab Zuschlag voraus, und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Vergabe Kenntnis hat. Die Generalanwältin hält diese Regelung für nicht vereinbar mit dem Effektivitätsgrundsatz: Denn anders als bei der auf Primärrechtsschutz gerichteten Vergabenachprüfung sei der Anspruch auf Schadensersatz nicht auf Vernichtung des bereits geschlossenen Vertrages gerichtet. Daher sei es nicht angezeigt, die Effektivität des Rechtsschutzes zugunsten von Gesichtspunkten der Rechtssicherheit zurücktreten zu lassen. Aus Art. 2f Abs. 1 b) der Richtlinie 89/665/EWG folge nichts anderes, da die dort ausdrücklich zugelassene kenntnisunabhängige Sechs-Monats-Frist nur für Nachprüfungen nach Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie gelte, d. h. für Nachprüfungsverfahren, die die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages anstreben. Werde Schadensersatz geltend gemacht, falle dies unter Art. 2f Abs. 1 der Richtlinie, so daß die Fristen durch das innerstaatliche Recht geregelt würden. Dieses werde neben dem Äquivalenzgrundsatz insbesondere durch den Effektivitätsgrundsatz eingeschränkt, der hier nicht gewahrt sei. „Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?“ weiterlesen
Generalanwalt Jääskinen zur Höhe der Gebühren im Vergabenachprüfungsverfahren
Das EU-Vergaberecht läßt den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der behördlichen und gerichtlichen Verfahren, die der Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge dienen. Die Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie 89/665/EWG, die zuletzt durch die Richtlinie 2007/66/EG geändert wurde, beschränkt sich im wesentlichen darauf, bestimmte Vorgaben für die Einrichtung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Vergaberechtsverletzungen zu machen. Zu diesen gehören insbesondere die Schaffung entsprechender Nachprüfungsverfahren (Art. 1 f. der Richtlinie 89/665/EWG), die Festlegung einer Stillhaltefrist vor Zuschlag (Art. 2a der Richtlinie 89/665/EWG) und die Verpflichtung, De-facto-Vergaben mit der Unwirksamkeitssanktion zu belegen (Art. 2d der Richtlinie 89/665/EWG). Daß das EU-Recht gleichwohl auch für Einzelfragen des Verfahrensrechts Bedeutung erlangen kann, zeigen die am 5. Mai 2015 vorgelegten Schlußanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen in der Rs. C-61/14, Orizzonte Salute. Dem Verfahren liegt ein Vorabentscheidungsersuchen des Regionalen Verwaltungsgerichts Trient (Tribunale Regionale di Giustizia Amministrativa di Trento) zugrunde, das die Vergabe eines Auftrags über Krankenpflegedienste betrifft. Mit seinen Vorlagefragen möchte das Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie so auszulegen sind, daß sie einer Gerichtskostenregelung wie derjenigen im italienischen Recht entgegenstehen. Diese zeichnet sich u. a. dadurch aus, daß für die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge höhere Gerichtsgebühren als in anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren anfallen und daß diese Gebühren sich weiter erhöhen, wenn innerhalb desselben Verfahrens weitere Gründe geltend gemacht oder weitere Anträge gestellt werden. In seinen Schlußanträgen mißt der Generalanwalt die italienischen Kostenbestimmungen am Äquivalenz- und am Effektivitätsgrundsatz, die er im Lichte von Art. 47 der Grundrechtecharta auslegt. Der Äquivalenzgrundsatz ist nach der Auffassung des Generalanwalts nicht verletzt, weil die die für öffentliche Aufträge anfallenden Gebühren ihrer Höhe nach unabhängig davon seien, ob es sich um Aufträge innerhalb oder außerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Vergaberechts handele. Den Effektivitätsgrundsatz hält der Generalanwalt hinsichtlich der absoluten Höhe der Gebühren für gewahrt, da dies in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gegenstandswert des Nachprüfungsverfahrens stehe. Mit Blick auf die im italienischen Recht vorgesehene Gebührenkumulation bei Geltendmachung weiterer Gründe oder bei Stellung weiterer Anträge will es der Generalanwalt dem vorlegenden Gericht überlassen zu entscheiden, ob die darin liegende Beschränkung der Effektivität des Zugangs zum Gericht verhältnismäßig ist. Aus Sicht des deutschen Rechts besteht unter Zugrundelegung der vom Generalanwalt aufgezeigten Grundsätze wenig Anlaß, an der Europarechtskonformität der bestehenden Kostenregelungen zu zweifeln. Die Gebühren für ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer, die sich gemäß § 128 Abs. 2 GWB i. d. R. innerhalb eines Rahmens von 2.500 EUR bis 50.000 EUR bewegen, werden in der Verwaltungspraxis der Vergabekammern im wesentlichen nach der Höhe des Auftragswerts festgelegt (s. dazu die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes). Die darin liegende Wertabhängigkeit dürfte unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes dem Grunde nach ebenso unbedenklich sein wie das in der Praxis daneben herangezogene Kriterium des durch das Verfahren verursachten Verwaltungsaufwandes. Freilich bleibt abzuwarten, wie sich der Gerichtshof zu den Vorlagefragen und den Schlußanträgen verhält.
Schlußanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 7. Mai 2015, Rs. C-61/14, Orizzonte Salute.
Vergabenachprüfungsstatistik 2014 veröffentlicht
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erhebt gemäß § 129a GWB bei den Vergabekammern und Oberlandesgerichten jährlich statistische Angaben über die geführten Nachprüfungsverfahren und deren Ergebnisse. Für das Jahr 2014 wurden die Zahlen nun veröffentlicht und liefern interessante Erkenntnisse über die Arbeit der Vergabekammern und -senate. Die Anzahl der erhobenen Nachprüfungsanträge liegt mit 751 auf einem neuen Tiefststand. Allerdings ist diese Angabe nur begrenzt aussagekräftig, da die (ehemalige) Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln offenbar keine Angaben zu ihrer Tätigkeit im Jahr 2014 gemacht hat, so daß die Statistik insoweit lückenhaft ist. In den vergangenen Jahren gehörte diese Vergabekammer zu den eher gut ausgelasteten Kammern (2013: 39 Verfahren, 2012: 36 Verfahren, 2011: 59 Verfahren). Unterstellt man, daß im Jahr 2014 in Köln eine vergleichbare Zahl von Nachprüfungsanträgen wie in den Vorjahren angebracht wurde, verkleinert sich der Abstand zwischen der Summe für das Jahr 2014 (751) und den Vorjahreswerten (2013: 817, 2012: 893, 2011: 989) deutlich. Gleichwohl bleibt die Zahl der Nachprüfungsverfahren auch nach der Korrektur niedrig und liegt ungefähr auf demselben Stand wie in der Anfangszeit des Kartellvergaberechts um die Jahrtausendwende. Dieser Befund gilt auch für die Anzahl der Beschwerdeverfahren, die mit 152 gegenüber den Vorjahreswerten (2013: 189, 2012: 184, 2011: 241) deutlich zurückgegangen ist. Darüber, auf welche Gründe der bereits seit einigen Jahren zu beobachtende Rückgang der Nachprüfungsverfahren zurückzuführen ist, läßt sich freilich nur spekulieren. An mangelnden Erfolgsaussichten dürfte es wohl nicht gelegen haben; von den 676 im Jahre 2014 von den Vergabekammern erledigten Nachprüfungsverfahren gingen immerhin 145 und damit 21,45 % zugunsten des Antragstellers aus.
Zur Vergabenachprüfungsstatistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie für die Vergabekammern und die Oberlandesgerichte.
Effektiver Vergaberechtsschutz im Wege der Rechtsaufsicht
Die Rechtsaufsicht gilt üblicherweise nicht als probates Mittel zur Durchsetzung von Bieterrechten im Vergabeverfahren. Sie ist bereits ihrem Wesen nach nicht auf den Schutz subjektiver Rechte ausgerichtet, sondern dient als objektives Kontrollverfahren der Wahrung von Recht und Gesetz durch die Verwaltung. Daß die Rechtsaufsicht dennoch im Einzelfall durchaus zur Durchsetzung subjektiver Interessen taugt, zeigt beispielhaft ein Bescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 23. April 2015. Mit der Entscheidung wurde auf die Beschwerde eines Bieters hin ein Vergabeverfahren einer kreisfreien Stadt als rechtswidrig beanstandet und die Auftraggeberin verpflichtet, das Verfahren unter Beachtung der Rechtauffassung der Aufsichtsbehörde zu wiederholen. Gegenstand war die Vergabe von Bauleistungen zur Konservierung und Restaurierung eines Burschenschaftsdenkmals, bei der die Auftraggeberin nach dem Ergebnis der aufsichtsbehördlichen Prüfung gegen verschieden Vorgaben der VOB/A, u. a. die Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A), den Vorrang der Einheitspreisvergabe (§ 4 Abs. 1 VOB/A) und die Begrenzung der Zulässigkeit von Bedarfspositionen (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A), verstoßen hatte. Offenbar standen dem Bieter bei dieser Auftragsvergabe mangels Erreichung der einschlägigen Schwellenwerte weder der Rechtsschutz vor der Vergabekammer nach den §§ 102 ff. GWB noch das in Thüringen gemäß § 19 Abs. 2 bis 5 des Thüringer Vergabegesetzes (ThürVgG) eröffnete landesrechtliche Nachprüfungsverfahren zur Verfügung. Im Gegensatz zu den formalisierten Nachprüfungsverfahren ist die formlose Beschwerde bei der Rechtsaufsichtsbehörde nicht von der Erreichung bestimmter Schwellenwerte abhängig, sondern kann bereits immer dann angebracht werden, wenn der Beschwerdeführer bestimmte Rechtsverstöße der zu beaufsichtigenden Körperschaft zu erkennen glaubt. Sie zielt darauf ab, im Wege der allgemeinen Rechtsaufsicht – im hiesigen Fall nach den §§ 116 ff. der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO) – den Auftraggeber zu einem rechtskonformen Verhalten anzuhalten, wozu auch die korrekte Anwendung des Vergaberechts gehört. Auch im übrigen ist die Beschwerde an wesentlich geringere formale Voraussetzungen geknüpft als ein bei der Vergabekammer anzubringender kartellvergaberechtlicher Nachprüfungsantrag; insbesondere muß der Beschwerdeführer weder bestimmte Fristen beachten noch die Verletzung eigener Rechte darlegen. Auch ein Kostenrisiko geht er in der Regel nicht ein. Kehrseite dessen ist allerdings, daß es im Ermessen der Rechtsaufsichtsbehörde steht, ob und ggf. welche aufsichtsrechtlichen Maßnahmen sie ergreift. Der Beschwerdeführer kann also selbst bei einem tatsächlich begangenen Vergaberechtsverstoß nicht davon ausgehen, daß ihm in jedem Fall geholfen wird, und er hat auch keine Gewißheit darüber, daß die Aufsicht rechtzeitig tätig wird, um einen möglicherweise drohenden Zuschlag, der unter Verstoß gegen Bestimmungen des Vergaberechts zustande kommt, zu verhindern. Im hiesigen Fall freilich hat das Thüringer Landesverwaltungsamt die Möglichkeiten der Kommunalaufsicht ausgeschöpft, um dem betroffenen Bieter rasch – zwischen Erhebung der Beschwerde und Erlaß des Bescheides lagen nur knapp über sechs Wochen – und effektiv zu einer rechtskonformen Auftragsvergabe zu verhelfen. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kann eine solche Verwaltungspraxis nur begrüßt werden.
Thüringer Landesverwaltungsamt, Bescheid vom 23. April 2015, Az. 205-4002-1768/2015-003-J.
VK Bund: Unbefristete Aufträge sind regelmäßig unzulässig
Mit drei Beschlüssen in parallel geführten Nachprüfungsverfahren, die denselben Auftragskomplex betreffen, hat sich die 2. Vergabekammer des Bundes zur Zulässigkeit der Vergabe unbefristeter Dienstleistungsaufträge geäußert. Gegenstand der Nachprüfungsverfahren war die Vergabe von Postdienstleistungen, hinsichtlich derer in allen drei Nachprüfungsverfahren die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers beanstandet wurde. Von Amts wegen griff die Vergabekammer allerdings einen weiteren Gesichtspunkt auf, den die Beteiligten nicht in das Nachprüfungsverfahren eingeführt hatten. Die Auftragsbekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU enthielt in Abschnitt II.2.3 folgende Angabe: „ Dieser Vertrag kann verlängert werden: ja.“ Obgleich der ausgeschriebene Vertrag lediglich eine Laufzeit von drei Jahren vorsah keine Angaben zu einer etwaigen Verlängerung enthielt und obgleich die Angabe in der Bekanntmachung möglicherweise gar nicht vom Auftraggeber herrührte, sondern auf einem Versehen des Amtes für Veröffentlichungen der EU beruhte, verstand die Vergabekammer die Angabe so, daß sie jedenfalls als Grundlage für eine zwischen den Vertragspartnern zu einem späteren Zeitpunkt einvernehmlich zu verabredende Vertragsverlängerung über die ursprünglich vorgesehene Laufzeit hinaus dienen könne. Eine solche Verlängerung sei dann möglicherweise nicht als unzulässige De-facto-Vergabe, sondern als Ausschöpfung einer bereits in dem ursprünglichen Vergabeverfahren angelegten Ausgestaltung des Auftrags anzusehen. Darin erblickte die Vergabekammer einen Verstoß gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz, der grundsätzlich der Vergabe unbefristeter Aufträge im Wege stehe. Andernfalls würden diese dauerhaft dem Wettbewerb entzogen, wofür jedenfalls hier bei einer Vergabe in dem vergleichsweise jungen Briefmarkt keine rechtfertigenden Gründe erkennbar seien. Ohnehin kam hier hinzu, daß die Vergabekammer den angestrebten Vertrag als Rahmenvereinbarung einstufte, deren Laufzeit gemäß § 4 Abs. 7 VOL/A-EG i. d. R. vier Jahre nicht überschreiten darf.
Die Vergabekammer entwickelt mit diesen Entscheidungen die Diskussion um die Zulässigkeit unbefristeter Verträge maßgeblich fort. In der Rechtsprechung des EuGH ist bislang lediglich geklärt, daß nach dem derzeitigen Stand des Vergaberechts abgesehen von dem für Rahmenvereinbarungen geltenden Sonderfall keine allgemeine Obergrenze für die Laufzeit öffentlicher Aufträge gilt, auch wenn unbefristet abgeschlossene Verträge unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsgrundsatzes bedenklich sein können (EuGH, Urt. v. 19. Juni 2008, Rs. C-454/06, pressetext Nachrichtenagentur GmbH, Rn. 73 f.; zu Konzessionen: EuGH, Urt. v. 25. März 2010, Rs. C-451/08, Helmut Müller GmbH, Rn. 79). Die innerstaatlichen Gerichte haben daher unbefristete Verträge in den bislang zu entscheidenden Fällen für zulässig erachtet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1. Oktober 2003, VII-Verg 45/03; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4. Februar 2013, VII-Verg 31/12). Diesen lag freilich teilweise ein von der hiesigen Situation erheblich abweichender Sachverhalt zugrunde (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4. Februar 2013, VII-Verg 31/12: Suche eines unternehmerischen Partners für eine zu gründende Tochtergesellschaft), der schon seinem Wesen nach deutlich stärker auf eine langfristige vertragliche Bindung ausgerichtet ist als die hier betroffene Vergabe von Postdienstleistungen. Mit der jetzt geäußerten Auffassung der Vergabekammer ist nunmehr davon auszugehen, daß unbefristete Verträge nur noch im Einzelfall gerechtfertigt sein können, widrigenfalls sie gegen den Wettbewerbsgrundsatz verstoßen (s. dazu auch Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 99 GWB Rn. 81 ff.). Abzuwarten bleibt, wie sich die in allen drei Verfahren angerufene Beschwerdeinstanz dazu verhalten wird.
VK Bund, Beschl. v. 8. April 2015, VK 2-21/15; Beschl. v. 9. April 2015, VK 2-19/15; Beschl. v. 16. April 2015, VK 2-16/15.