Generalanwalt Szpunar zur Vereinbarkeit der deutschen Arzneimittelpreisbindung mit dem EU-Recht

Mit seinen Schlußanträgen in der Rechtssache C-148/15 (Deutsche Parkinson-Vereinigung e. V. gegen Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.) hat sich der Generalanwalt beim EuGH Maciej Szpunar zur Vereinbarkeit der deutschen Arzneimittelpreisbindung mit dem EU-Recht geäußert. Gegenstand seiner Schlußanträge ist § 78 des Arzneimittelgesetzes (AMG), der einen einheitlichen Apothekenabgabepreis v. a. für apothekenpflichtige Arzneimittel verlangt. Konkretisiert wird diese Vorgabe durch die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Den Schlußanträgen liegt ein Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf zugrunde, das über die arzneimittelpreisrechtliche Zulässigkeit von Preisnachlässen zu entscheiden hat, die die niederländische Versandapotheke Doc Morris den Mitgliedern der Deutschen Parkinson-Vereinigung gewähren will. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. hatte dies vor den Zivilgerichten als wettbewerbswidrig beanstandet.

Europarechtlich ist die Arzneimittelpreisbindung mangels Harmonisierung allein an den Grundfreiheiten des AEUV zu messen. Nach der Auffassung des Generalanwalts sind die dahingehenden Bestimmungen des deutschen Arzneimittelrechts mit der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV nicht vereinbar. Der Generalanwalt hält die Vorgabe eines einheitlichen Abgabepreises nach den Maßstäben der Dassonville-Rechtsprechung des EuGH für eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit und nicht lediglich für eine nicht von ihrem Anwendungsbereich umfaßte gewisse Verkaufsmodalität im Sinne des Urteils Keck und Mithouard. Eine Rechtfertigung auf der Grundlage von Art. 36 AEUV kommt nach der Auffassung des Generalanwalts nicht in Betracht, schon weil die Maßnahme nicht geeignet sei, dem Schutz der öffentlichen Gesundheit zu dienen. Insbesondere sei nicht zu erkennen, wie ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für die Sicherstellung einer gleichmäßigen und qualitätvollen Versorgung mit Arzneimitteln dienen könne.

Ob sich der Gerichtshof dieser Rechtsauffassung anschließen wird, darf mit Spannung erwartet werden.

Schlußanträge des Generalanwalts Szpunar vom 2. Juni 2016, Rs. C-148/15, Deutsche Parkinson-Vereinigung e. V.

Eignungsleihe nur bei gesamtschuldnerischer Haftung?

Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG sehen vor, daß sich Bieter auf die Kapazitäten Dritter berufen dürfen, um ihre eigene Leistungsfähigkeit in technischer oder wirtschaftlicher Hinsicht nachzuweisen. Damit wird die Möglichkeit der Eignungsleihe eröffnet, die im innerstaatlichen Recht z. B. in § 6 Abs. 8 VOB/A-EG umgesetzt wird und die insbesondere den in der VOB/A zuvor geltenden Grundsatz der Selbstausführung abgelöst hat. Sowohl das Richtlinienrecht als auch das innerstaatliche deutsche Recht sehen dabei vor, daß der Bieter, der von der Möglichkeit der Eignungsleihe Gebrauch machen will, dem Auftraggeber nachweisen muß, daß ihm die erforderlichen Drittkapazitäten zur Verfügung stehen. „Eignungsleihe nur bei gesamtschuldnerischer Haftung?“ weiterlesen

Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?

Erneut hat sich der EuGH mit den Anforderungen zu befassen, die das EU-Recht an die Ausgestaltung der Fristen zur Nachprüfung rechtswidriger Vergaben stellt. In ihren Schlußanträgen vom 21. Mai 2015 in der Rechtssache C-166/14, MedEval GmbH, beleuchtet die Generalanwältin Juliane Kokott eine Regelung des österreichischen Rechts. Diese sieht vor, daß Schadensersatzansprüche wegen einer rechtswidrigen De-facto-Vergabe voraussetzen, daß die Rechtswidrigkeit der Auftragserteilung zuvor von der Vergabekontrollbehörde festgestellt wurde. Eine solche Feststellung setzt die Anbringung eines Nachprüfungsantrags innerhalb von sechs Monaten ab Zuschlag voraus, und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Vergabe Kenntnis hat. Die Generalanwältin hält diese Regelung für nicht vereinbar mit dem Effektivitätsgrundsatz: Denn anders als bei der auf Primärrechtsschutz gerichteten Vergabenachprüfung sei der Anspruch auf Schadensersatz nicht auf Vernichtung des bereits geschlossenen Vertrages gerichtet. Daher sei es nicht angezeigt, die Effektivität des Rechtsschutzes zugunsten von Gesichtspunkten der Rechtssicherheit zurücktreten zu lassen. Aus Art. 2f Abs. 1 b) der Richtlinie 89/665/EWG folge nichts anderes, da die dort ausdrücklich zugelassene kenntnisunabhängige Sechs-Monats-Frist nur für Nachprüfungen nach Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie gelte, d. h. für Nachprüfungsverfahren, die die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages anstreben. Werde Schadensersatz geltend gemacht, falle dies unter Art. 2f Abs. 1 der Richtlinie, so daß die Fristen durch das innerstaatliche Recht geregelt würden. Dieses werde neben dem Äquivalenzgrundsatz insbesondere durch den Effektivitätsgrundsatz eingeschränkt, der hier nicht gewahrt sei. „Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?“ weiterlesen

Generalanwalt Jääskinen zur Höhe der Gebühren im Vergabenachprüfungsverfahren

Das EU-Vergaberecht läßt den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der ‎behördlichen und gerichtlichen Verfahren, die der Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge ‎dienen. Die Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie 89/665/EWG, die zuletzt durch die Richtlinie ‎‎2007/66/EG geändert wurde, beschränkt sich im wesentlichen darauf, bestimmte Vorgaben für die ‎Einrichtung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Vergaberechtsverletzungen zu machen. Zu ‎diesen gehören insbesondere die Schaffung entsprechender Nachprüfungsverfahren (Art. 1 f. der ‎Richtlinie 89/665/EWG), die Festlegung einer Stillhaltefrist vor Zuschlag (Art. 2a der Richtlinie ‎‎89/665/EWG) und die Verpflichtung, De-facto-Vergaben mit der Unwirksamkeitssanktion zu ‎belegen (Art. 2d der Richtlinie 89/665/EWG). Daß das EU-Recht gleichwohl auch für Einzelfragen des ‎Verfahrensrechts Bedeutung erlangen kann, zeigen die am 5. Mai 2015 vorgelegten Schlußanträge ‎des Generalanwalts Niilo Jääskinen in der Rs. C-61/14, Orizzonte Salute. Dem Verfahren liegt ein ‎Vorabentscheidungsersuchen des Regionalen Verwaltungsgerichts Trient (Tribunale Regionale di ‎Giustizia Amministrativa di Trento) zugrunde, das die Vergabe eines Auftrags über ‎Krankenpflegedienste betrifft. Mit seinen Vorlagefragen möchte das Gericht wissen, ob die ‎Bestimmungen der Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie so auszulegen sind, daß sie einer ‎Gerichtskostenregelung wie derjenigen im italienischen Recht entgegenstehen. Diese zeichnet sich ‎u. a. dadurch aus, daß für die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge höhere ‎Gerichtsgebühren als in anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren anfallen und daß diese ‎Gebühren sich weiter erhöhen, wenn innerhalb desselben Verfahrens weitere Gründe geltend ‎gemacht oder weitere Anträge gestellt werden. In seinen Schlußanträgen mißt der Generalanwalt ‎die italienischen Kostenbestimmungen am Äquivalenz- und am Effektivitätsgrundsatz, die er im ‎Lichte von Art. 47 der Grundrechtecharta auslegt. Der Äquivalenzgrundsatz ist nach der Auffassung ‎des Generalanwalts nicht verletzt, weil die die für öffentliche Aufträge anfallenden Gebühren ihrer ‎Höhe nach unabhängig davon seien, ob es sich um Aufträge innerhalb oder außerhalb des ‎Anwendungsbereichs des EU-Vergaberechts handele. Den Effektivitätsgrundsatz hält der ‎Generalanwalt hinsichtlich der absoluten Höhe der Gebühren für gewahrt, da dies in einem ‎angemessenen Verhältnis zu dem Gegenstandswert des Nachprüfungsverfahrens stehe. Mit Blick ‎auf die im italienischen Recht vorgesehene Gebührenkumulation bei Geltendmachung weiterer ‎Gründe oder bei Stellung weiterer Anträge will es der Generalanwalt dem vorlegenden Gericht ‎überlassen zu entscheiden, ob die darin liegende Beschränkung der Effektivität des Zugangs zum ‎Gericht verhältnismäßig ist.‎ Aus Sicht des deutschen Rechts besteht unter Zugrundelegung der vom Generalanwalt ‎aufgezeigten Grundsätze wenig Anlaß, an der Europarechtskonformität der bestehenden ‎Kostenregelungen zu zweifeln. Die Gebühren für ein Nachprüfungsverfahren vor der ‎Vergabekammer, die sich gemäß § 128 Abs. 2 GWB i. d. R. innerhalb eines Rahmens von 2.500 EUR ‎bis 50.000 EUR bewegen, werden in der Verwaltungspraxis der Vergabekammern im wesentlichen ‎nach der Höhe des Auftragswerts festgelegt (s. dazu die Gebührentabelle der Vergabekammern ‎des Bundes). Die darin liegende Wertabhängigkeit dürfte unter dem ‎Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes dem Grunde nach ebenso unbedenklich sein wie ‎das in der Praxis daneben herangezogene Kriterium des durch das Verfahren verursachten ‎Verwaltungsaufwandes. Freilich bleibt abzuwarten, wie sich der Gerichtshof zu den Vorlagefragen ‎und den Schlußanträgen verhält.‎

Schlußanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 7. Mai 2015, Rs. C-61/14, Orizzonte Salute.‎