Zweckentfremdungsverbot: Indienstnahme von Internetportalen geplant

Nachdem das Zweckentfremdungsverbot für Wohnungen in Berlin bereits seit über zwei Jahren in Kraft ist, beabsichtigt der Berliner Senat nun, mit einer ersten Gesetzesänderung die Maßnahmen gegen die unerwünschte Zweckentfremdung von Wohnraum weiter zu verschärfen. Mit einem Gesetzesentwurf zur Änderung des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes (AGH-Drs. 17/2712) sollen neben kleineren Korrekturen v. a. die Betreiber von Internetportalen in Dienst genommen werden. § 5 Abs. 2 ZwVbG in der Fassung des Änderungsentwurfs bestimmt hierzu, daß die Anbieter von Diensten i. S. d. Telemediengesetzes zur Erhebung von Daten über zweckentfremdete Wohnungen und deren Inhaber herangezogen werden können, wenn im Einzelfall eine Erhebung der Daten bei den Inhabern selbst nicht möglich ist oder einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde und schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Der Begriff des Diensteanbieters ist ausgesprochen weit; er umfaßt gemäß § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG alle Personen, die eigene oder fremde Telemedien zur Benutzung bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs (AGH-Drs. 17/2712) zielt dies vor allem auf die Betreiber von Internetportalen ab, auf denen Wohnungen unter Verstoß gegen das Zweckentfremdungsverbot als Ferienwohnung angeboten werden. Auf die Art des Anbietens oder Vermittelns kommt es nicht an, so daß insbesondere auch Unternehmen wie Airbnb, die lediglich eine Plattform bereithalten, auf der Dritte Wohnraum anbieten können, hierunter fallen dürften. Zwar sieht die Neuregelung keine Datenerhebungspflicht der Diensteanbieter vor, so daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß Informationsersuchen der zuständigen Behörden ins Leere laufen, wenn der Diensteanbieter selbst keine näheren Angaben zur Belegenheit der Wohnung oder der Identität ihres Inhabers machen kann, weil er die entsprechenden Daten nicht abgefragt hat. Dem begegnet der Gesetzentwurf allerdings dadurch, daß künftig bereits das Anbieten einer zweckentfremdeten Wohnung eine Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 7 Abs. 2 ZwVbG in der Fassung des Änderungsentwurfs) und daß Diensteanbieter verpflichtet werden, derartig unzulässige Angebote von den von ihnen betriebenen Internetseiten unverzüglich zu entfernen (§ 7 Abs. 3 ZwVbG in der Fassung des Änderungsentwurfs). Diese Beseitigungspflicht tritt neben die Auskunftspflicht und ist ihrerseits bußgeldbewehrt.

Gesetz zur Änderung des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes, AGH-Drs. 17/2712

Eignungsleihe: Der Bieter bestimmt die Art der Beziehung und des Nachweises

In der Rechtssache C‑234/14 (Ostas celtnieks SIA)  ist der EuGH nun den Schlußanträgen des Generalanwalts gefolgt und hat die Festlegung eines öffentlichen Auftraggebers beanstandet, die es einem Bieter, der sich auf die Kapazitäten eines dritten Unternehmens beruft, auferlegt, mit dem Drittunternehmen einen Kooperationsvertrag abzuschließen oder eine Personengesellschaft zu gründen.

Dem Vorabentscheidungsersuchen liegt ein lettisches Vergabeverfahren aus dem Bereich des Straßenbaus zugrunde. Der Auftraggeber sah in den Vergabeunterlagen vor, daß Bieter, die sich auf die Kapazitäten Dritter berufen wollen, im Zuschlagsfalle entweder einen sogenannten Partnerschaftsvertrag mit gesamtschuldnerischer Haftung schließen oder eine offene Handelsgesellschaft („Kollektivgesellschaft“ nach lettischem Recht) bilden müssen. Ebenso wie bereits zuvor Generalanwalt Melchior Wathelet hält auch der EuGH eine solche Vorgabe für nicht mit Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG vereinbar. Sie beschränke die Möglichkeit der Bieter, sich auf die Kapazitäten Dritter berufen, ohne daß dies in der Richtlinie angelegt sei. Die Richtlinie erlaube dem Bieter sowohl die Wahl der rechtlichen Beziehung, die er mit dem Drittunternehmen eingehen wolle, als auch die Art und Weise, wie er diese Beziehung nachweisen wolle.

Dieses Ergebnis entspricht der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, die seit langem die Freiheit des Bieters zur Eignungsleihe betont und die ihrerseits Grundlage für die später ins Richtlinienrecht übernommenen Regelungen ist (u. a. EuGH, Urt. v. 14. April 1994, Rs. C-389/92, Ballast Nedam Groep VN I; EuGH, Urt. v. 18. Dezember 1997, Rs. C-5/97, Ballast Nedam Groep NV II; EuGH, Urt. v. 2. Dezember 1999, Rs. C-176/98, Holst Italia SpA). Die Aussagen des jetzigen Urteils stehen damit auf sicherem Grund. Neuerungen werden sich jedoch durch die Richtlinie 2014/24/EU ergeben, denn diese sieht in Art. 63 Abs. 1 3. UAbs. vor, daß Auftraggeber von Bietern, die sich hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen oder finanziellen Leistungsfähigkeit auf die Kapazitäten Dritter berufen, verlangen können, daß Bieter und Dritte „gemeinsam für die Auftragsausführung“ haften. Insoweit wird also in Zukunft  eine andere Sichtweise anzulegen sein, denn für diesen Teilbereich der Eignungsleihe werden Auftraggeber die gesamtschuldnerische Haftung von Bieter und Drittem vorgeben können. Der Inhalt der rechtlichen Beziehung zwischen Bieter und Drittem wird damit nicht mehr allein ins Belieben des Bieters gestellt.

EuGH, Urt. v. 14. Januar 2016, Rs. C-234/14, Ostas Celtnieks SIA

 

Altanschließer: Noch manche Fragen offen

Mit Urteilen vom 11. Februar 2016 (OVG 9 B 43.15 und OVG 9 B 1.16) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zwei Beitragsbescheide der Stadt Cottbus aufgehoben, mit denen sogenannte Altanschließer zu Beiträgen für den Anschluß ihrer Grundstücke an die Abwasserkanalisation herangezogen worden waren. Die Entscheidung war zu erwarten, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit einem vielbeachteten Beschluß vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14 und 1 BvR 3051/14) die Anwendung in § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg in der seit dem 1. Februar 2004 geltenden Fassung in denjenigen Fällen als verfassungswidrig eingestuft hat, in denen auf der Grundlage der zuvor geltenden Regelung Beiträge nicht mehr hätten erhoben werden können. In der Rechtsänderung, die einen Neubeginn der abgabenrechtlichen Festsetzungsverjährung durch den Erlaß einer wirksamen Beitragssatzung auslösen sollte, sah das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. Dies führte zur Rechtswidrigkeit der Beitragsbescheide.

Betroffen hiervon sind diejenigen Grundstücke, für die vor dem 1. Februar 2000 eine Beitragspflicht für einen Anschluß an die Wasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungsanlagen entstanden ist, denn in diesen Fällen endete die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 b) KAG BB i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 1 AO) bereits vor dem Inkrafttreten der unzulässigen Neuregelung. Grundstückseigentümer, die gegen entsprechende Beitragsbescheide Widerspruch oder Klage erhoben haben, haben damit gute Aussichten darauf, daß der jeweilige Bescheid aufgehoben wird und die Zahlungspflicht entfällt. Weniger klar ist die Situation hingegen in denjenigen Fällen, in denen die Beitragsbescheide bereits bestandskräftig geworden sind. Hier kommt zwar ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in entsprechender Anwendung der aus § 51 VwVfG folgenden Grundsätze in Betracht, doch dürfte fraglich sein, ob dem einzelnen Grundstückseigentümer ein Anspruch auf Aufhebung des Beitragsbescheids zukommt. Denn allein die gerichtliche Feststellung einer Verfassungswidrigkeit genügt nach vorherrschender Lesart nicht, um eine nachträgliche Änderung der Rechtslage  i. S. v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu begründen. Gleichwohl haben bereits erste Zweckverbände angekündigt, alle zu Unrecht erhobenen Beiträge erstatten zu wollen, und zwar unabhängig davon, ob gegen die jeweiligen Bescheide Widerspruch eingelegt wurde. Ob tatsächlich Rückzahlungsansprüche bestehen, muß in jedem Einzelfall geprüft werden.

OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11. Februar 2016, 9 B 43.15, 9 B 1.16

BVerfG, Beschl. v. 12. November 2015, 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14

VK Niedersachsen: Vergaberechtliche Tariftreuepflichten verstoßen gegen EU-Recht

Spätestens seit dem vielbeachteten Urteil des EuGH zu den Mindestlohnbestimmungen des nordrhein-westfälischen TVgG (EuGH, Urt. v. 18. September 2014, Rs. C-549/13, Bundesdruckerei GmbH) steht die Vereinbarkeit von Lohnvorgaben mit den Bestimmungen des EU-Rechts im Blickpunkt der vergaberechtlichen Diskussion. Die Vergabekammer Niedersachsen mußte sich nun mit der Zulässigkeit einer landesrechtlichen Tariftreuepflicht befassen. Diese ergibt sich aus § 4 Abs. 3 Satz 2 des niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG) und betrifft in dem jetzt entschiedenen Fall den Schülerverkehr, der von der Anwendung der Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes gemäß § 1 Nr. 4 d) der Verordnung über die Befreiung bestimmter Beförderungsfälle von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (Freistellungs-Verordnung) freigestellt ist. „VK Niedersachsen: Vergaberechtliche Tariftreuepflichten verstoßen gegen EU-Recht“ weiterlesen

Eignungsleihe nur bei gesamtschuldnerischer Haftung?

Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG sehen vor, daß sich Bieter auf die Kapazitäten Dritter berufen dürfen, um ihre eigene Leistungsfähigkeit in technischer oder wirtschaftlicher Hinsicht nachzuweisen. Damit wird die Möglichkeit der Eignungsleihe eröffnet, die im innerstaatlichen Recht z. B. in § 6 Abs. 8 VOB/A-EG umgesetzt wird und die insbesondere den in der VOB/A zuvor geltenden Grundsatz der Selbstausführung abgelöst hat. Sowohl das Richtlinienrecht als auch das innerstaatliche deutsche Recht sehen dabei vor, daß der Bieter, der von der Möglichkeit der Eignungsleihe Gebrauch machen will, dem Auftraggeber nachweisen muß, daß ihm die erforderlichen Drittkapazitäten zur Verfügung stehen. „Eignungsleihe nur bei gesamtschuldnerischer Haftung?“ weiterlesen

Ist die Vergabekammer Berlin weiterhin nur teilweise arbeitsfähig?

Dass es um die Arbeitsfähigkeit der Vergabekammer Berlin nicht zum besten steht, ist seit ‎längerer Zeit bekannt. Bereits im Herbst 2013 sorgte ein Beschluss des Kammergerichts für Aufsehen (KG, ‎Beschl. v. 24. Oktober 2013, Verg 11/13). Das Gericht stellte darin u. a. fest, daß die ‎Vergabekammer den Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens mitgeteilt habe, daß sie ihre ‎Amtstätigkeit im Zuständigkeitsbereich der 2. Beschlußabteilung mangels personeller Besetzung für ‎absehbare Zeit eingestellt habe. Als Folge daraus konnten diverse Nachprüfungsverfahren ‎‎(s. u. a. KG, Beschl. v. 1. September 2014, Verg 18/13; KG, Beschl. v. 18. Dezember 2014, Verg 21/13) nicht in der gesetzlich vorgesehen Entscheidungsfrist (§ 113 Abs. 2 Satz 1 GWB) beendet ‎werden, so daß die Ablehnung des Antrags fingiert wurde und der Weg zur sofortigen Beschwerde ‎eröffnet war (§ 116 Abs. 2 GWB). Nachdem das Thema nicht nur im Abgeordnetenhaus, sondern ‎auch mehrfach in der Tagespresse zur Sprache kam, beschloß der Berliner Senat am 28. Oktober 2014 mit der 1. Änderungsverordnung zur Berliner Nachprüfungsverordnung, daß sowohl der ‎Vorsitzende als auch der hauptamtliche Beisitzer der betroffenen 2. Beschlußabteilung nicht mehr ‎wie bisher von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, sondern künftig von der ‎Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz benannt werden. Vor dem Hintergrund der ‎gesetzlichen Vorgabe, nach der eines dieser beiden Mitglieder ein Volljurist sein muß (§ 105 Abs. 2 ‎Satz 3 GWB), erhoffte man sich damit offenbar, die personellen Lücken in der Vergabekammer ‎besser schließen zu können. ‎ Ob dieser Plan zwischenzeitlich zum gewünschten Erfolg geführt hat, scheint allerdings weiterhin ‎fraglich. Nach einem kürzlich veröffentlichten Beschluß des Kammergerichts vom 27. Januar 2015, ‎Az. Verg 9/14, hat sich jedenfalls bis Ende des vergangenen Jahres nichts an der beklagenswerten ‎Situation geändert. Denn dort findet sich wiederum die Feststellung, daß die Vergabekammer den ‎Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens mitgeteilt habe, daß sie mangels ausreichender personeller Besetzung der zuständigen ‎‎2. Beschlußabteilung auf absehbare Zeit nicht werde in der Sache entscheiden können. Der wiederholt angebrachte Hinweis des Kammergerichts, daß dieser Zustand den ‎Grundsätzen einer ordnungsgemäßen und rechtsstaatlichen Verwaltung widerspreche, verhallt ‎also offenbar weiterhin ungehört. Das Kammergericht leitet daraus zudem in mittlerweile gefestigter ‎Rechtsprechung ab, daß sich das Land Berlin als öffentlicher Auftraggeber im Rahmen etwaiger ‎Eilanträge vor dem Beschwerdegericht (§ 118 Abs. 1 Satz 3 GWB) nicht auf eine Dringlichkeit der ‎Auftragsvergabe berufen könne, da es die im Nachprüfungsverfahren durch die Nichtbesetzung ‎der Vergabekammer entstehende Verzögerung selbst zu vertreten habe. Dies entspricht dem ‎zivilprozessualen Gedanken der Selbstwiderlegung: Wer selbst durch sein Verhalten zum Ausdruck ‎bringt, daß die Sache nicht besonders eilbedürftig ist, kann sich im Eilverfahren nicht auf die ‎Dringlichkeit seines Anliegens berufen. Für Vergabestellen des Landes Berlin, die auf die personelle ‎Situation im Bereich der Vergabekammer üblicherweise keinen Einfluß haben, mag dies mißlich ‎sein; in der Sache hingegen ist es sicherlich konsequent. Es darf mit Spannung erwartet werden, bis ‎wann das Kammergericht seine Spruchtätigkeit als faktische Eingangsinstanz fortführen muß.‎

KG, Beschl. v. 29. Januar 2015, Verg 9/14.

Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?

Erneut hat sich der EuGH mit den Anforderungen zu befassen, die das EU-Recht an die Ausgestaltung der Fristen zur Nachprüfung rechtswidriger Vergaben stellt. In ihren Schlußanträgen vom 21. Mai 2015 in der Rechtssache C-166/14, MedEval GmbH, beleuchtet die Generalanwältin Juliane Kokott eine Regelung des österreichischen Rechts. Diese sieht vor, daß Schadensersatzansprüche wegen einer rechtswidrigen De-facto-Vergabe voraussetzen, daß die Rechtswidrigkeit der Auftragserteilung zuvor von der Vergabekontrollbehörde festgestellt wurde. Eine solche Feststellung setzt die Anbringung eines Nachprüfungsantrags innerhalb von sechs Monaten ab Zuschlag voraus, und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Vergabe Kenntnis hat. Die Generalanwältin hält diese Regelung für nicht vereinbar mit dem Effektivitätsgrundsatz: Denn anders als bei der auf Primärrechtsschutz gerichteten Vergabenachprüfung sei der Anspruch auf Schadensersatz nicht auf Vernichtung des bereits geschlossenen Vertrages gerichtet. Daher sei es nicht angezeigt, die Effektivität des Rechtsschutzes zugunsten von Gesichtspunkten der Rechtssicherheit zurücktreten zu lassen. Aus Art. 2f Abs. 1 b) der Richtlinie 89/665/EWG folge nichts anderes, da die dort ausdrücklich zugelassene kenntnisunabhängige Sechs-Monats-Frist nur für Nachprüfungen nach Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie gelte, d. h. für Nachprüfungsverfahren, die die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages anstreben. Werde Schadensersatz geltend gemacht, falle dies unter Art. 2f Abs. 1 der Richtlinie, so daß die Fristen durch das innerstaatliche Recht geregelt würden. Dieses werde neben dem Äquivalenzgrundsatz insbesondere durch den Effektivitätsgrundsatz eingeschränkt, der hier nicht gewahrt sei. „Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?“ weiterlesen

Generalanwalt Jääskinen zur Höhe der Gebühren im Vergabenachprüfungsverfahren

Das EU-Vergaberecht läßt den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der ‎behördlichen und gerichtlichen Verfahren, die der Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge ‎dienen. Die Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie 89/665/EWG, die zuletzt durch die Richtlinie ‎‎2007/66/EG geändert wurde, beschränkt sich im wesentlichen darauf, bestimmte Vorgaben für die ‎Einrichtung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Vergaberechtsverletzungen zu machen. Zu ‎diesen gehören insbesondere die Schaffung entsprechender Nachprüfungsverfahren (Art. 1 f. der ‎Richtlinie 89/665/EWG), die Festlegung einer Stillhaltefrist vor Zuschlag (Art. 2a der Richtlinie ‎‎89/665/EWG) und die Verpflichtung, De-facto-Vergaben mit der Unwirksamkeitssanktion zu ‎belegen (Art. 2d der Richtlinie 89/665/EWG). Daß das EU-Recht gleichwohl auch für Einzelfragen des ‎Verfahrensrechts Bedeutung erlangen kann, zeigen die am 5. Mai 2015 vorgelegten Schlußanträge ‎des Generalanwalts Niilo Jääskinen in der Rs. C-61/14, Orizzonte Salute. Dem Verfahren liegt ein ‎Vorabentscheidungsersuchen des Regionalen Verwaltungsgerichts Trient (Tribunale Regionale di ‎Giustizia Amministrativa di Trento) zugrunde, das die Vergabe eines Auftrags über ‎Krankenpflegedienste betrifft. Mit seinen Vorlagefragen möchte das Gericht wissen, ob die ‎Bestimmungen der Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie so auszulegen sind, daß sie einer ‎Gerichtskostenregelung wie derjenigen im italienischen Recht entgegenstehen. Diese zeichnet sich ‎u. a. dadurch aus, daß für die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge höhere ‎Gerichtsgebühren als in anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren anfallen und daß diese ‎Gebühren sich weiter erhöhen, wenn innerhalb desselben Verfahrens weitere Gründe geltend ‎gemacht oder weitere Anträge gestellt werden. In seinen Schlußanträgen mißt der Generalanwalt ‎die italienischen Kostenbestimmungen am Äquivalenz- und am Effektivitätsgrundsatz, die er im ‎Lichte von Art. 47 der Grundrechtecharta auslegt. Der Äquivalenzgrundsatz ist nach der Auffassung ‎des Generalanwalts nicht verletzt, weil die die für öffentliche Aufträge anfallenden Gebühren ihrer ‎Höhe nach unabhängig davon seien, ob es sich um Aufträge innerhalb oder außerhalb des ‎Anwendungsbereichs des EU-Vergaberechts handele. Den Effektivitätsgrundsatz hält der ‎Generalanwalt hinsichtlich der absoluten Höhe der Gebühren für gewahrt, da dies in einem ‎angemessenen Verhältnis zu dem Gegenstandswert des Nachprüfungsverfahrens stehe. Mit Blick ‎auf die im italienischen Recht vorgesehene Gebührenkumulation bei Geltendmachung weiterer ‎Gründe oder bei Stellung weiterer Anträge will es der Generalanwalt dem vorlegenden Gericht ‎überlassen zu entscheiden, ob die darin liegende Beschränkung der Effektivität des Zugangs zum ‎Gericht verhältnismäßig ist.‎ Aus Sicht des deutschen Rechts besteht unter Zugrundelegung der vom Generalanwalt ‎aufgezeigten Grundsätze wenig Anlaß, an der Europarechtskonformität der bestehenden ‎Kostenregelungen zu zweifeln. Die Gebühren für ein Nachprüfungsverfahren vor der ‎Vergabekammer, die sich gemäß § 128 Abs. 2 GWB i. d. R. innerhalb eines Rahmens von 2.500 EUR ‎bis 50.000 EUR bewegen, werden in der Verwaltungspraxis der Vergabekammern im wesentlichen ‎nach der Höhe des Auftragswerts festgelegt (s. dazu die Gebührentabelle der Vergabekammern ‎des Bundes). Die darin liegende Wertabhängigkeit dürfte unter dem ‎Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes dem Grunde nach ebenso unbedenklich sein wie ‎das in der Praxis daneben herangezogene Kriterium des durch das Verfahren verursachten ‎Verwaltungsaufwandes. Freilich bleibt abzuwarten, wie sich der Gerichtshof zu den Vorlagefragen ‎und den Schlußanträgen verhält.‎

Schlußanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 7. Mai 2015, Rs. C-61/14, Orizzonte Salute.‎

Vergabenachprüfungsstatistik 2014 veröffentlicht

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erhebt gemäß § 129a GWB bei den ‎Vergabekammern und Oberlandesgerichten jährlich statistische Angaben über die geführten ‎Nachprüfungsverfahren und deren Ergebnisse. Für das Jahr 2014 wurden die Zahlen nun ‎veröffentlicht und liefern interessante Erkenntnisse über die Arbeit der Vergabekammern und -‎senate. Die Anzahl der erhobenen Nachprüfungsanträge liegt mit 751 auf einem neuen Tiefststand. ‎Allerdings ist diese Angabe nur begrenzt aussagekräftig, da die (ehemalige) Vergabekammer bei der ‎Bezirksregierung Köln offenbar keine Angaben zu ihrer Tätigkeit im Jahr 2014 gemacht hat, so daß ‎die Statistik insoweit lückenhaft ist.  In den vergangenen Jahren gehörte diese Vergabekammer zu ‎den eher gut ausgelasteten Kammern (2013: 39 Verfahren, 2012: 36 Verfahren, 2011: 59 ‎Verfahren). Unterstellt man, daß im Jahr 2014 in Köln eine vergleichbare  Zahl von ‎Nachprüfungsanträgen wie in den Vorjahren angebracht wurde, verkleinert sich der Abstand ‎zwischen der Summe für das Jahr 2014 (751) und den Vorjahreswerten (2013: 817, 2012: 893, 2011: ‎‎989) deutlich. Gleichwohl bleibt die Zahl der Nachprüfungsverfahren auch nach der Korrektur ‎niedrig und liegt ungefähr auf demselben Stand wie in der Anfangszeit des Kartellvergaberechts ‎um die Jahrtausendwende. Dieser Befund gilt auch für die Anzahl der Beschwerdeverfahren, die mit 152 ‎gegenüber den Vorjahreswerten (2013: 189, 2012: 184, 2011: 241) deutlich zurückgegangen ist. ‎Darüber, auf welche Gründe der bereits seit einigen Jahren zu beobachtende Rückgang der ‎Nachprüfungsverfahren zurückzuführen ist, läßt sich freilich nur spekulieren. An mangelnden ‎Erfolgsaussichten dürfte es wohl nicht gelegen haben; von den 676 im Jahre 2014 von den ‎Vergabekammern erledigten Nachprüfungsverfahren gingen immerhin 145 und damit 21,45 % zugunsten des ‎Antragstellers aus.

Zur Vergabenachprüfungsstatistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie für die Vergabekammern und die Oberlandesgerichte.