Maßgeblich für die Erreichung der kartellvergaberechtlichen Schwellenwerte ist die Schätzung des Auftragswerts zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens (§ 3 Abs. 9 VgV). Verschätzt sich der Auftraggeber und wird der Auftrag tatsächlich teurer, ist dies demnach im Grundsatz unbeachtlich. Anders verhält sich dies jedoch dann, wenn die Schätzung des Auftragswerts von Anfang an fehlerhaft war, etwa weil der Auftraggeber nicht den Auftragsgegenstand, sondern eine damit nicht vergleichbare Leistung zum Gegenstand der Schätzung gemacht hat. Führt eine solche fehlerhafte Schätzung dazu, daß der Auftraggeber den Auftrag nicht nach den Bestimmungen des Kartellvergaberechts vergibt, sondern lediglich ein haushaltsvergaberechtliches Verfahren durchführt, kann dies zur Unwirksamkeit des Vertrages führen. Anschaulich zeigt dies ein Beschluß des Oberlandesgerichts Rostock vom 6. November 2015 (17 Verg 2/15). Die Unwirksamkeit kann sich bereits aus § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB ergeben, wenn der Auftraggeber den Zuschlag erteilt, ohne die übergangenen Bieter vorher gemäß § 101a Abs. 1 GWB unterrichtet zu haben. Aus seiner Sicht ist ein solches Vorgehen folgerichtig, da er den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nicht für eröffnet hält; in der Sache entbindet ihn dies freilich nicht von der Informations- und Wartepflicht (s. dazu auch OLG Dresden, Beschl. v. 24. Juli 2012, Verg 2/12). Zwar mag der Auftraggeber dem noch dadurch begegnen, daß er vorsorglich alle Auftragsinteressenten über die bevorstehende Zuschlagserteilung unterrichtet, auch wenn er sich dazu nicht verpflichtet sieht. Gleichwohl hilft dies nicht darüber hinweg, daß auch die fehlende EU-weite Bekanntmachung des Auftrags jedenfalls gegen § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB als De-facto-Vergabe im weiteren (unechten) Sinne verstößt. In seinem Beschluß bestätigt das OLG Rostock damit die gefestigte Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 3. 8. 2011, VII-Verg 33/11 m. w. N.). Da in dem vom OLG Rostock entschiedenen Fall sowohl die Informations- und Wartepflicht als auch die Pflicht zur EU-weiten Bekanntmachung verletzt worden waren und zudem weitere Vergaberechtsverstöße im Raum standen, mußte sich das Gericht nicht mehr mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Bieter, der trotz der defizitären Bekanntmachung ein Angebot abgegeben hat, die für das Nachprüfungsverfahren erforderliche Antragsbefugnis im Hinblick auf das Bekanntmachungsdefizit besitzt. In anders gelagerten Fällen bedarf das indessen der genauen Prüfung. Ganz unabhängig davon ist der Beschluß des OLG Rostock schon deshalb lesenswert, weil er von erstaunlichen Verquickungen zwischen Auftraggeber und einem Bieter berichtet: U. a. waren Mitarbeiter des vorgesehenen Zuschlagsempfängers an der Prüfung und Wertung der Angebote beteiligt.