VK Niedersachsen: Vergaberechtliche Tariftreuepflichten verstoßen gegen EU-Recht

Spätestens seit dem vielbeachteten Urteil des EuGH zu den Mindestlohnbestimmungen des nordrhein-westfälischen TVgG (EuGH, Urt. v. 18. September 2014, Rs. C-549/13, Bundesdruckerei GmbH) steht die Vereinbarkeit von Lohnvorgaben mit den Bestimmungen des EU-Rechts im Blickpunkt der vergaberechtlichen Diskussion. Die Vergabekammer Niedersachsen mußte sich nun mit der Zulässigkeit einer landesrechtlichen Tariftreuepflicht befassen. Diese ergibt sich aus § 4 Abs. 3 Satz 2 des niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (NTVergG) und betrifft in dem jetzt entschiedenen Fall den Schülerverkehr, der von der Anwendung der Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes gemäß § 1 Nr. 4 d) der Verordnung über die Befreiung bestimmter Beförderungsfälle von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (Freistellungs-Verordnung) freigestellt ist. Trotz des Beförderungscharakters des Schülerverkehrs ist hierauf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 nicht anzuwenden, da die Beförderung lediglich einen begrenzten Kreis von Fahrgästen und damit nicht die Öffentlichkeit betrifft. Als Folge daraus kann die Tariftreuepflicht nicht auf Art. 4 Abs. 6 dieser Verordnung gestützt werden, auch wenn diese Norm innerhalb ihres Geltungsbereichs die Vorgabe bestimmter Qualitätsstandards, zu denen auch Mindestlohnregelungen gehören können, erlaubt. Die Vergabekammer hatte die Tariftreuepflicht daher am allgemeinen Maßstab der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) zu messen. Unter Zugrundelegung der Rüffert-Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. v. 3. April 2008, Rs. C-346/06, bestätigt mit Urt. v. 18. September 2014, Rs. C-549/13, Bundesdruckerei GmbH) mußte die Vergabekammer damit zwangsläufig zu dem Ergebnis gelangen, daß eine Tariftreuepflicht, die wie hier lediglich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, nicht aber allgemein gilt, bereits nicht geeignet ist, das Ziel eines angemessenen Lohnniveaus zu erreichen, und deshalb den mit ihr verbundenen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen kann. Zu Recht hat die Vergabekammer dabei allerdings klargestellt, daß diese Erwägungen bei einer bundesweit einheitlichen und für alle Unternehmen einer bestimmten Branche geltenden Entgeltbestimmungen, wie sie insbesondere das MiLoG vorsehen, nicht gelten. Für die hier betroffene Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 NTVergG beabsichtigt der niedersächsische Gesetzgeber ohnehin die ersatzlose Streichung.

VK Niedersachsen, Beschl. v. 15. Mai 2015, VgK-09/2015.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert