Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?

Erneut hat sich der EuGH mit den Anforderungen zu befassen, die das EU-Recht an die Ausgestaltung der Fristen zur Nachprüfung rechtswidriger Vergaben stellt. In ihren Schlußanträgen vom 21. Mai 2015 in der Rechtssache C-166/14, MedEval GmbH, beleuchtet die Generalanwältin Juliane Kokott eine Regelung des österreichischen Rechts. Diese sieht vor, daß Schadensersatzansprüche wegen einer rechtswidrigen De-facto-Vergabe voraussetzen, daß die Rechtswidrigkeit der Auftragserteilung zuvor von der Vergabekontrollbehörde festgestellt wurde. Eine solche Feststellung setzt die Anbringung eines Nachprüfungsantrags innerhalb von sechs Monaten ab Zuschlag voraus, und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Vergabe Kenntnis hat. Die Generalanwältin hält diese Regelung für nicht vereinbar mit dem Effektivitätsgrundsatz: Denn anders als bei der auf Primärrechtsschutz gerichteten Vergabenachprüfung sei der Anspruch auf Schadensersatz nicht auf Vernichtung des bereits geschlossenen Vertrages gerichtet. Daher sei es nicht angezeigt, die Effektivität des Rechtsschutzes zugunsten von Gesichtspunkten der Rechtssicherheit zurücktreten zu lassen. Aus Art. 2f Abs. 1 b) der Richtlinie 89/665/EWG folge nichts anderes, da die dort ausdrücklich zugelassene kenntnisunabhängige Sechs-Monats-Frist nur für Nachprüfungen nach Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie gelte, d. h. für Nachprüfungsverfahren, die die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages anstreben. Werde Schadensersatz geltend gemacht, falle dies unter Art. 2f Abs. 1 der Richtlinie, so daß die Fristen durch das innerstaatliche Recht geregelt würden. Dieses werde neben dem Äquivalenzgrundsatz insbesondere durch den Effektivitätsgrundsatz eingeschränkt, der hier nicht gewahrt sei. „Dürfen Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen De-facto-Vergaben von der Wahrung der Fristen für das Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht werden?“ weiterlesen

Generalanwalt Jääskinen zur Höhe der Gebühren im Vergabenachprüfungsverfahren

Das EU-Vergaberecht läßt den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der ‎behördlichen und gerichtlichen Verfahren, die der Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge ‎dienen. Die Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie 89/665/EWG, die zuletzt durch die Richtlinie ‎‎2007/66/EG geändert wurde, beschränkt sich im wesentlichen darauf, bestimmte Vorgaben für die ‎Einrichtung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Vergaberechtsverletzungen zu machen. Zu ‎diesen gehören insbesondere die Schaffung entsprechender Nachprüfungsverfahren (Art. 1 f. der ‎Richtlinie 89/665/EWG), die Festlegung einer Stillhaltefrist vor Zuschlag (Art. 2a der Richtlinie ‎‎89/665/EWG) und die Verpflichtung, De-facto-Vergaben mit der Unwirksamkeitssanktion zu ‎belegen (Art. 2d der Richtlinie 89/665/EWG). Daß das EU-Recht gleichwohl auch für Einzelfragen des ‎Verfahrensrechts Bedeutung erlangen kann, zeigen die am 5. Mai 2015 vorgelegten Schlußanträge ‎des Generalanwalts Niilo Jääskinen in der Rs. C-61/14, Orizzonte Salute. Dem Verfahren liegt ein ‎Vorabentscheidungsersuchen des Regionalen Verwaltungsgerichts Trient (Tribunale Regionale di ‎Giustizia Amministrativa di Trento) zugrunde, das die Vergabe eines Auftrags über ‎Krankenpflegedienste betrifft. Mit seinen Vorlagefragen möchte das Gericht wissen, ob die ‎Bestimmungen der Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie so auszulegen sind, daß sie einer ‎Gerichtskostenregelung wie derjenigen im italienischen Recht entgegenstehen. Diese zeichnet sich ‎u. a. dadurch aus, daß für die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge höhere ‎Gerichtsgebühren als in anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren anfallen und daß diese ‎Gebühren sich weiter erhöhen, wenn innerhalb desselben Verfahrens weitere Gründe geltend ‎gemacht oder weitere Anträge gestellt werden. In seinen Schlußanträgen mißt der Generalanwalt ‎die italienischen Kostenbestimmungen am Äquivalenz- und am Effektivitätsgrundsatz, die er im ‎Lichte von Art. 47 der Grundrechtecharta auslegt. Der Äquivalenzgrundsatz ist nach der Auffassung ‎des Generalanwalts nicht verletzt, weil die die für öffentliche Aufträge anfallenden Gebühren ihrer ‎Höhe nach unabhängig davon seien, ob es sich um Aufträge innerhalb oder außerhalb des ‎Anwendungsbereichs des EU-Vergaberechts handele. Den Effektivitätsgrundsatz hält der ‎Generalanwalt hinsichtlich der absoluten Höhe der Gebühren für gewahrt, da dies in einem ‎angemessenen Verhältnis zu dem Gegenstandswert des Nachprüfungsverfahrens stehe. Mit Blick ‎auf die im italienischen Recht vorgesehene Gebührenkumulation bei Geltendmachung weiterer ‎Gründe oder bei Stellung weiterer Anträge will es der Generalanwalt dem vorlegenden Gericht ‎überlassen zu entscheiden, ob die darin liegende Beschränkung der Effektivität des Zugangs zum ‎Gericht verhältnismäßig ist.‎ Aus Sicht des deutschen Rechts besteht unter Zugrundelegung der vom Generalanwalt ‎aufgezeigten Grundsätze wenig Anlaß, an der Europarechtskonformität der bestehenden ‎Kostenregelungen zu zweifeln. Die Gebühren für ein Nachprüfungsverfahren vor der ‎Vergabekammer, die sich gemäß § 128 Abs. 2 GWB i. d. R. innerhalb eines Rahmens von 2.500 EUR ‎bis 50.000 EUR bewegen, werden in der Verwaltungspraxis der Vergabekammern im wesentlichen ‎nach der Höhe des Auftragswerts festgelegt (s. dazu die Gebührentabelle der Vergabekammern ‎des Bundes). Die darin liegende Wertabhängigkeit dürfte unter dem ‎Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes dem Grunde nach ebenso unbedenklich sein wie ‎das in der Praxis daneben herangezogene Kriterium des durch das Verfahren verursachten ‎Verwaltungsaufwandes. Freilich bleibt abzuwarten, wie sich der Gerichtshof zu den Vorlagefragen ‎und den Schlußanträgen verhält.‎

Schlußanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 7. Mai 2015, Rs. C-61/14, Orizzonte Salute.‎

Vergabenachprüfungsstatistik 2014 veröffentlicht

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erhebt gemäß § 129a GWB bei den ‎Vergabekammern und Oberlandesgerichten jährlich statistische Angaben über die geführten ‎Nachprüfungsverfahren und deren Ergebnisse. Für das Jahr 2014 wurden die Zahlen nun ‎veröffentlicht und liefern interessante Erkenntnisse über die Arbeit der Vergabekammern und -‎senate. Die Anzahl der erhobenen Nachprüfungsanträge liegt mit 751 auf einem neuen Tiefststand. ‎Allerdings ist diese Angabe nur begrenzt aussagekräftig, da die (ehemalige) Vergabekammer bei der ‎Bezirksregierung Köln offenbar keine Angaben zu ihrer Tätigkeit im Jahr 2014 gemacht hat, so daß ‎die Statistik insoweit lückenhaft ist.  In den vergangenen Jahren gehörte diese Vergabekammer zu ‎den eher gut ausgelasteten Kammern (2013: 39 Verfahren, 2012: 36 Verfahren, 2011: 59 ‎Verfahren). Unterstellt man, daß im Jahr 2014 in Köln eine vergleichbare  Zahl von ‎Nachprüfungsanträgen wie in den Vorjahren angebracht wurde, verkleinert sich der Abstand ‎zwischen der Summe für das Jahr 2014 (751) und den Vorjahreswerten (2013: 817, 2012: 893, 2011: ‎‎989) deutlich. Gleichwohl bleibt die Zahl der Nachprüfungsverfahren auch nach der Korrektur ‎niedrig und liegt ungefähr auf demselben Stand wie in der Anfangszeit des Kartellvergaberechts ‎um die Jahrtausendwende. Dieser Befund gilt auch für die Anzahl der Beschwerdeverfahren, die mit 152 ‎gegenüber den Vorjahreswerten (2013: 189, 2012: 184, 2011: 241) deutlich zurückgegangen ist. ‎Darüber, auf welche Gründe der bereits seit einigen Jahren zu beobachtende Rückgang der ‎Nachprüfungsverfahren zurückzuführen ist, läßt sich freilich nur spekulieren. An mangelnden ‎Erfolgsaussichten dürfte es wohl nicht gelegen haben; von den 676 im Jahre 2014 von den ‎Vergabekammern erledigten Nachprüfungsverfahren gingen immerhin 145 und damit 21,45 % zugunsten des ‎Antragstellers aus.

Zur Vergabenachprüfungsstatistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie für die Vergabekammern und die Oberlandesgerichte.

Effektiver Vergaberechtsschutz im Wege der Rechtsaufsicht

Die Rechtsaufsicht gilt üblicherweise nicht als probates Mittel zur Durchsetzung von Bieterrechten im Vergabeverfahren. Sie ist bereits ihrem Wesen nach nicht auf den Schutz subjektiver Rechte ausgerichtet, sondern dient als objektives Kontrollverfahren der Wahrung von Recht und Gesetz durch die Verwaltung. Daß die Rechtsaufsicht dennoch im Einzelfall durchaus zur Durchsetzung subjektiver Interessen taugt, zeigt beispielhaft ein Bescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 23. April 2015. Mit der Entscheidung wurde auf die Beschwerde eines Bieters hin ein Vergabeverfahren einer kreisfreien Stadt als rechtswidrig beanstandet und die Auftraggeberin verpflichtet, das Verfahren unter Beachtung der Rechtauffassung der Aufsichtsbehörde zu wiederholen. Gegenstand war die Vergabe von Bauleistungen zur Konservierung und Restaurierung eines Burschenschaftsdenkmals, bei der die Auftraggeberin nach dem Ergebnis der aufsichtsbehördlichen Prüfung gegen verschieden Vorgaben der VOB/A, u. a. die Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A), den Vorrang der Einheitspreisvergabe (§ 4 Abs. 1 VOB/A) und die Begrenzung der Zulässigkeit von Bedarfspositionen (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A), verstoßen hatte. Offenbar standen dem Bieter bei dieser Auftragsvergabe mangels Erreichung der einschlägigen Schwellenwerte weder der Rechtsschutz vor der Vergabekammer nach den §§ 102 ff. GWB noch das in Thüringen gemäß § 19 Abs. 2 bis 5 des Thüringer Vergabegesetzes (ThürVgG) eröffnete landesrechtliche Nachprüfungsverfahren zur Verfügung. Im Gegensatz zu den formalisierten Nachprüfungsverfahren ist die formlose Beschwerde bei der Rechtsaufsichtsbehörde nicht von der Erreichung bestimmter Schwellenwerte abhängig, sondern kann bereits immer dann angebracht werden, wenn der Beschwerdeführer bestimmte Rechtsverstöße der zu beaufsichtigenden Körperschaft zu erkennen glaubt. Sie zielt darauf ab, im Wege der allgemeinen Rechtsaufsicht – im hiesigen Fall nach den §§ 116 ff. der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO) – den Auftraggeber zu einem rechtskonformen Verhalten anzuhalten, wozu auch die korrekte Anwendung des Vergaberechts gehört. Auch im übrigen ist die Beschwerde an wesentlich geringere formale Voraussetzungen geknüpft als ein bei der Vergabekammer anzubringender kartellvergaberechtlicher Nachprüfungsantrag; insbesondere muß der Beschwerdeführer weder bestimmte Fristen beachten noch die Verletzung eigener Rechte darlegen. Auch ein Kostenrisiko geht er in der Regel nicht ein. Kehrseite dessen ist allerdings, daß es im Ermessen der Rechtsaufsichtsbehörde steht, ob und ggf. welche aufsichtsrechtlichen Maßnahmen sie ergreift. Der Beschwerdeführer kann also selbst bei einem tatsächlich begangenen Vergaberechtsverstoß nicht davon ausgehen, daß ihm in jedem Fall geholfen wird, und er hat auch keine Gewißheit darüber, daß die Aufsicht rechtzeitig tätig wird, um einen möglicherweise drohenden Zuschlag, der unter Verstoß gegen Bestimmungen des Vergaberechts zustande kommt, zu verhindern. Im hiesigen Fall freilich hat das Thüringer Landesverwaltungsamt die Möglichkeiten der Kommunalaufsicht ausgeschöpft, um dem betroffenen Bieter rasch – zwischen Erhebung der Beschwerde und Erlaß des Bescheides lagen nur knapp über sechs Wochen – und effektiv zu einer rechtskonformen Auftragsvergabe zu verhelfen. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kann eine solche Verwaltungspraxis nur begrüßt werden.

Thüringer Landesverwaltungsamt, Bescheid vom 23. April 2015, Az. 205-4002-1768/2015-003-J.

 

VG Wiesbaden: Rechtliche Bedenken gegen das Verfahren zur Vergabe von Sportwettenkonzessionen

In dem Dauerstreit um die Vergabe von Sportwettenkonzessionen hat das Verwaltungsgericht ‎Wiesbaden mit mehreren Eilbeschlüssen vom 16. April 2015 und vom 5. Mai 2015 die beabsichtigte Konzessionsvergabe ‎vorläufig gestoppt. Grundlage des Vergabeverfahrens ist die sogenannte Experimentierklausel in § ‎‎10a des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV), nach der befristet für einen Zeitraum von sieben ‎Jahren ab dem 1. Juli 2012 bis zu 20 Sportwettenkonzessionen an private Anbieter vergeben ‎werden können. Das staatliche Glücksspielmonopol (§ 10 GlüStV) wird insoweit gelockert, um eine ‎bessere Erreichung der Ziele des Glückspielstaatsvertrages zu erproben (§ 10a Abs. 1 GlüStV). Seit ‎Beginn des Vergabeverfahrens hatten sich bereits mehrere Verwaltungsgerichte mit ‎verschiedenen Beanstandungen der an einer Konzession interessierten Bewerber auseinandergesetzt (u. a. VG ‎Wiesbaden, Beschl. v. 13. September 2012, 5 L 1081/12 WI; VG Berlin, Urt. v. 23. Mai 2014, 23 K ‎‎512.12; VG München, Beschl. v. 18.03.2015, Az.: M 16 E 14.4518). Mit den jetzt ergangenen ‎Eilbeschlüssen hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden dem für die Konzessionsvergabe ‎bundesweit zuständigen Land Hessen im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig  die ‎Konzessionserteilung untersagt. Das Gericht beanstandet insbesondere die mangelnde ‎Transparenz des Vergabeverfahrens, in dem weder die an die Angebote gestellten ‎Mindestanforderungen noch die Bewertungsmatrix hinreichend bekannt gemacht worden seien. ‎Zudem sei der Ablauf des Verfahrens selbst nicht mit der gebotenen Transparenz und Eindeutigkeit ‎vorab festgelegt worden, so dass den Bewerbern nicht klar sei, bis wann welche Nachweise ‎beigebracht werden mussten und innerhalb welches Zeitraums mit einer Konzessionserteilung zu ‎rechnen sei. Hinzu trete, daß die Entscheidungsfindung im sogenannten Glücksspielkollegium, ‎einem länderübergreifenden Ausschuß (§ 9a Abs. 5 bis 8 GlüStV), insbesondere mangels ‎hinreichender Begründung fehlerhaft sei; zudem könne ein einzelnes Land wohl nicht an die ‎Entscheidungen eines länderübergreifenden Gremiums gebunden werden, das seine Beschlüsse ‎auch gegen den Willen des betroffenen Landes fassen könne. Auch konzeptionelle Mängel des ‎Verfahrens beanstandete das Gericht.‎

Die Eilbeschlüsse des Verwaltungsgerichts sind insbesondere unter dem Blickwinkel der ‎Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren im vergaberechtlich nicht geregelten ‎Bereich aufschlußreich. Die Vergabe von Glücksspielkonzessionen unterfällt nicht dem ‎Kartellvergaberecht. Die rechtlichen Anforderungen an das Vergabeverfahren ergeben sich vielmehr im ‎wesentlichen aus dem Glücksspielstaatsvertrag, der die zuständige Behörde zur Durchführung ‎eines transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens verpflichtet (§ 4b Abs. 1 Satz 1 ‎GlüStV). Hinzu treten der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die ‎Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV (dazu grundlegend EuGH, Urt. v. 6. November 2003, Rs. C-‎‎243/01, Gambelli). Trotz dieses unterschiedlichen Rechtsrahmens gleichen sich jedoch die ‎inhaltlichen Anforderungen eines verwaltungsrechtlich geprägten Auswahlverfahrens (dazu auch ‎Hess. VGH, Beschl. v. 23. Juli 2012, 8 B 2244/11) und eines Vergabeverfahrens im eigentlichen Sinne ‎in vielem. Namentlich die Grundsätze der Transparenz und der Nichtdiskriminierung können ‎letztlich verfahrensartübergreifend konkretisiert werden, so daß es naheliegt, in ‎Verwaltungsverfahren der hiesigen Art auf vergaberechtliche Erkenntnisse zurückzugreifen. ‎Weitere Rechtsprechung insbesondere der Beschwerdeinstanz bleibt abzuwarten.‎

VG Wiesbaden, Beschl. v. 16. April 2015, 5 L 1558/14.WI; Beschl. v. 5. Mai 2015, 5 L 1453/14.WI.

VK Bund: Unbefristete Aufträge sind regelmäßig unzulässig

Mit drei Beschlüssen in parallel geführten Nachprüfungsverfahren, die denselben Auftragskomplex betreffen, hat sich die 2. Vergabekammer des Bundes zur Zulässigkeit der Vergabe unbefristeter Dienstleistungsaufträge geäußert. Gegenstand der Nachprüfungsverfahren war die Vergabe von Postdienstleistungen, hinsichtlich derer in allen drei Nachprüfungsverfahren die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers beanstandet wurde. Von Amts wegen griff die Vergabekammer allerdings einen weiteren Gesichtspunkt auf, den die Beteiligten nicht in das Nachprüfungsverfahren eingeführt hatten. Die Auftragsbekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU enthielt in Abschnitt II.2.3 folgende Angabe: „ Dieser Vertrag kann verlängert werden: ja.“ Obgleich der ausgeschriebene Vertrag lediglich eine Laufzeit von drei Jahren vorsah keine Angaben zu einer etwaigen Verlängerung enthielt und obgleich die Angabe in der Bekanntmachung möglicherweise gar nicht vom Auftraggeber herrührte, sondern auf einem Versehen des Amtes für Veröffentlichungen der EU beruhte, verstand die Vergabekammer die Angabe so, daß sie jedenfalls als Grundlage für eine zwischen den Vertragspartnern zu einem späteren Zeitpunkt einvernehmlich zu verabredende Vertragsverlängerung über die ursprünglich vorgesehene Laufzeit hinaus dienen könne. Eine solche Verlängerung sei dann möglicherweise nicht als unzulässige De-facto-Vergabe, sondern als Ausschöpfung einer bereits in dem ursprünglichen Vergabeverfahren angelegten Ausgestaltung des Auftrags anzusehen. Darin erblickte die Vergabekammer einen Verstoß gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz, der grundsätzlich der Vergabe unbefristeter Aufträge im Wege stehe. Andernfalls würden diese dauerhaft dem Wettbewerb entzogen, wofür jedenfalls hier bei einer Vergabe in dem vergleichsweise jungen Briefmarkt keine rechtfertigenden Gründe erkennbar seien. Ohnehin kam hier hinzu, daß die Vergabekammer den angestrebten Vertrag als Rahmenvereinbarung einstufte, deren Laufzeit gemäß § 4 Abs. 7 VOL/A-EG i. d. R. vier Jahre nicht überschreiten darf.

Die Vergabekammer entwickelt mit diesen Entscheidungen die Diskussion um die Zulässigkeit unbefristeter Verträge maßgeblich fort. In der Rechtsprechung des EuGH ist bislang lediglich geklärt, daß nach dem derzeitigen Stand des Vergaberechts abgesehen von dem für Rahmenvereinbarungen geltenden Sonderfall keine allgemeine Obergrenze für die Laufzeit öffentlicher Aufträge gilt, auch wenn unbefristet abgeschlossene Verträge unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsgrundsatzes bedenklich sein können (EuGH, Urt. v. 19. Juni 2008, Rs. C-454/06, pressetext Nachrichtenagentur GmbH, Rn. 73 f.; zu Konzessionen: EuGH, Urt. v. 25. März 2010, Rs. C-451/08, Helmut Müller GmbH, Rn. 79). Die innerstaatlichen Gerichte haben daher unbefristete Verträge in den bislang zu entscheidenden Fällen für zulässig erachtet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1. Oktober 2003, VII-Verg 45/03; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4. Februar 2013, VII-Verg 31/12). Diesen lag freilich teilweise ein von der hiesigen Situation erheblich abweichender Sachverhalt zugrunde (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4. Februar 2013, VII-Verg 31/12: Suche eines unternehmerischen Partners für eine zu gründende Tochtergesellschaft), der schon seinem Wesen nach deutlich stärker auf eine langfristige vertragliche Bindung ausgerichtet ist als die hier betroffene Vergabe von Postdienstleistungen. Mit der jetzt geäußerten Auffassung der Vergabekammer ist nunmehr davon auszugehen, daß unbefristete Verträge nur noch im Einzelfall gerechtfertigt sein können, widrigenfalls sie gegen den Wettbewerbsgrundsatz verstoßen (s. dazu auch Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 99 GWB Rn. 81 ff.). Abzuwarten bleibt, wie sich die in allen drei Verfahren angerufene Beschwerdeinstanz dazu verhalten wird.

VK Bund, Beschl. v. 8. April 2015, VK 2-21/15; Beschl. v. 9. April 2015, VK 2-19/15; Beschl. v. 16. April 2015, VK 2-16/15.